Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht: Nicht angepasste Geschwindigkeit trotz "angekündigter Gefahrenstelle"
Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff der "angekündigten Gefahrenstelle" im Sinne der lfd. Nr. 8.1 der Anlage 1 zur BKatV erfasst nicht nur durch Verkehrszeichen (Gefahrzeichen) angekündigte Gefahrenstellen, sondern auch verkehrsbedingt oder aus anderen Ursachen plötzlich auftretende Gefahrenstellen, auf die andere Verkehrsteilnehmer durch eingeschaltetes Warnblinklicht aufmerksam gemacht haben.
2. Übersieht ein Fahrzeugführer aus Unachtsamkeit die eingeschalteten Warnblinkanlagen der vorausfahrenden Fahrzeuge, die hierdurch auf ein plötzlich auftretendes Stauende aufmerksam machen und fährt infolgedessen ungebremst auf das vorausfahrende Fahrzeug auf, stellt dies eine fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO dar.
Normenkette
StVG § 24; StVO § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 Sätze 2, 4, § 49 Abs. 1 Nrn. 1, 3; BKatV § 1 Abs. 1 Nr. 8.1 Anlage 1
Verfahrensgang
AG Walsrode (Entscheidung vom 20.05.2015) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2. Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Betroffene einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit durch Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit trotz angekündigter Gefahrenstelle in Tateinheit mit Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers schuldig ist und die Bußgeldvorschriften wie folgt lauten: § 24 StVG, §§ 49 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StVO i. V. m. §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 Satz 2, 4 StVO, Ziff. 8.1 BKatV, § 19 OWiG.
4. Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Walsrode hat den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil vom 20.05.2015 wegen "einer tateinheitlich begangenen fahrlässigen Ordnungswidrigkeit durch Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit mit Schädigung eines anderen" zu einer Geldbuße in Höhe von 165,00 Euro verurteilt.
Der Betroffene lebt nach den getroffenen Feststellungen in geordneten Verhältnissen. In verkehrsrechtlicher Hinsicht ist er nicht unerheblich vorbelastet. Im Zeitraum von Juli 2010 bis Dezember 2013 sind gegen ihn in sechs Fällen Geldbußen verhängt worden. Drei der Bußgeldverfahren betrafen jeweils einen Verstoß als Führer eines Lastkraftwagens wegen Nichteinhaltens des Mindestabstandes von 50 Metern von einem vorausfahrenden Fahrzeug. In zwei Verfahren erfolgte eine Ahndung wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft.
Nach den Feststellungen zur Sache befuhr der Betroffene am 14.04.2014 mit dem Sattelzug der Marke Daimler/Faymontville, amtliches Kennzeichen xxx, die Bundesautobahn 7 in Fahrtrichtung H. in der Gemarkung W. Die Autobahn ist in diesem Bereich zweispurig. Der Betroffene nutzte die rechte Fahrspur. Da sich auf der rechten Fahrspur ein Stau bildete, reduzierten die vor dem Betroffenen fahrenden Kraftfahrzeugführer ihre Geschwindigkeit. Obwohl der direkt vor dem Betroffenen fahrende Lastkraftwagen mit dem amtlichen Kennzeichen xxx bremste, seine Geschwindigkeit auf unter 40 km/h verringerte und bereits sein Warnblinklicht eingeschaltet hatte, verringerte der Betroffene seine Geschwindigkeit nicht. Vielmehr fuhr er um 15:38 Uhr ungebremst mit einer Geschwindigkeit von über 80 km/h auf den vor ihm fahrenden Lastkraftwagen auf, wodurch dieser in die Mittelleitplanke geschoben wurde. Es entstand an diesem Lastkraftwagen ein Sachschaden in Höhe von 20.000 Euro. Darüber hinaus wurden durch umherfliegende Unfallteile weitere Fahrzeuge beschädigt, an denen Sachschäden in unterschiedlicher Höhe entstanden. Zur Überzeugung des Gerichts ist der Betroffene kurz vor dem Unfallereignis mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren. Hierdurch und infolge seiner Unachtsamkeit habe er den Verkehrsunfall mit nicht unerheblichen Sachschäden verursacht. Das Amtsgericht ist von einer fahrlässigen Begehungsweise ausgegangen. Bei Anwendung der an den Betroffenen zu stellenden Sorgfaltsanforderungen hätte er erkennen können und müssen, dass der Verkehr aufgrund eines sich anbahnenden Staus abbremste und bei den vorausfahrenden Fahrzeugen die Warnblinklichtanlagen eingeschaltet waren. Hätte der Betroffene die deutlich sichtbaren Vorzeichen des beginnenden Staus erkannt, hätte er die von ihm gefahrene Geschwindigkeit zumutbar verringern und den Unfall mit seinen Folgen verhindern können.
Das Gericht erkannte wegen eines fahrlässigen Verkehrsverstoßes gemäß § 24 StVG i. V. m. §§ 49 Abs. 1 Nr. 3, 3 Abs. 1 Nr. 4, 1 Abs. 2 StVO auf eine Geldbuße von 165,00 Euro.
Das Amtsgericht ist zunächst von der Regelbuße in Höhe von 100 Euro nach der lfd. Nr. 8.1 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 BKatV ausgegangen. Aufgrund der Bremsvorgänge und der eingeschalteten Warnblinkanlagen habe sich eine Gefahrenstelle angekündigt. Der Betroffene sei trotz angekündigter Gefahrenstelle mit nicht ang...