Leitsatz (amtlich)
1. Ein (drohender) Schadenseintritt i.S.d. § 97 Abs. 2 Satz 2 GWB ist dargelegt, wenn ein Bieter, dessen Angebot wegen Änderungen an den Verdingungsunterlagen auszuschließen ist, in zulässiger Weise rügt, dass die Vergabestelle die wegen eines schweren Vergaberechtsfehlers zwingend gebotene Aufhebung der Ausschreibung unterlassen hat, sofern die Möglichkeit besteht, dass der Bieter bei einer Wiederholung des Vergabeverfahrens ein ausschreibungskonformes Angebot einreichen wird.
2. Zur Zulässigkeit einer Leistungsbeschreibung, die ein technisches Merkmal enthält, welches die Produkte bestimmter Hersteller bevorzugt.
Normenkette
GWB § 107 Abs. 2 S. 2; VOL/A § 8 Nr. 3 Abs. 4
Verfahrensgang
Regierungsvertretung Lüneburg (Beschluss vom 11.03.2008; Aktenzeichen VgK-05/2008) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung Lüneburg - vom 11.3.2008 aufgehoben.
Die Ausschreibung der Auftraggeberin betreffend die Lieferung eines Farbdoppler-Ultraschallsystems für die Medizinische Klinik wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass sie Antragstellerin durch die Auftraggeberin in ihren Rechten verletzt ist.
Die Auftraggeberin und die Beigeladene zu 1 haben die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer als Gesamtschuldner zu tragen. Die dort entstandenen Auslagen der Antragstellerin haben sie jeweils zur Hälfte zu tragen. Rechtsanwälte hinzuzuziehen war notwendig.
Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren - einschließlich der durch das Verfahren nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB entstandenen Mehrkosten - haben die Auftraggeberin und die Beigeladene zu 1 jeweils zur Hälfte zu tragen.
Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre Kosten selbst.
Der Beschwerdewert wird auf 10.513,35 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Das Städtische Klinikum L. gemeinnützige GmbH (im Folgenden: Auftraggeberin) schrieb die Neubeschaffung der medizinischen Ausstattung der Endoskopie und in einem getrennten Verfahren die Beschaffung eines Farbdoppler-Ultraschallsystems für die Endoskopie aus. In der veröffentlichten Bekanntmachung der hier streitbefangenen Ausschreibung für die Lieferung des Farbdoppler-Ultrallschallsystems sind folgende Zuschlagskriterien angegeben:
"Wirtschaftlich günstigstes Angebot in Bezug auf die nachstehenden Kriterien:
1. Kompatibilität der angebotenen Komponenten miteinander.
Gewichtung: 1.
2. Neuester medizintechnischer Stand. Gewichtung: 2.
3. Umfang der diagnostischen Verfahren und Anwendungen.
Gewichtung: 3."
Mit Schreiben vom 30.11.2007 rügte die Antragstellerin, dass in dem Vergabeverfahren für die medizinische Ausstattung der Endoskopie eine Unterteilung nach Losen nicht vorgesehen sei. Die Auftraggeberin wies die Rüge mit Schreiben vom 3.12.2007 zurück.
Am 14.12.2007 gingen der Antragstellerin die Vergabeunterlagen für beide Verfahren zu. Bestandteil der Vergabeunterlagen ist u.a. das Formular EVM (L) Ang EG (Angebotsschreiben). Dieses bezieht die beigefügten besonderen und zusätzlichen Vertragsbedingungen sowie das Leistungsverzeichnis als Vertragsbestandteile ein. In den allgemeinen Vorbemerkungen zum Leistungsverzeichnis heißt es:
"16. Der Verwendung von Vertragsbedingungen des Auftragnehmers wird widersprochen. Soweit solche dem Angebot beigefügt sind, gelten sie nicht als Vertragsbestandteil."
Das Leistungsverzeichnis für das Farbdoppler-Ultraschallsystem beschreibt unter
Ziff. 1.1 ein Endsonographiegerät wie folgt:
"Vorausgesetzte Systemmerkmale ...
Betriebsarten: B-Bild, SonoMR, M-Mode, Farbdoppler, Colour-Flow-Angio
Bidirectional Colour-Flow-Angio, Pulsed-Wave, Continous-Wave."
Ziff. 2 des Leistungsverzeichnisses enthält die Beschreibung der anzubietenden Ultraschallsonden. Zur Konvex-Sonde für den Bereich Abdomen heißt es:
"2.1 ...Leistungsmerkmale:
Geeignet für folgende Modi: B/dTHI/CFM/PW/CFA/sonst: ..."
Gleiche Vorgaben enthält das Leistungsverzeichnis unter Ziff. 2.3 Biopsie-Sonde, convex, Ziff. 2.4 Transrektalsonde, Ziff. 3.1 Video-Ultraschallendoskop, Lonitudinalscan und Ziff. 3.2 Video-Ultrallschallendoskop, Radialscan.
In den Vergabeunterlagen sind als Wertungskriterien Preis, technischer Wert, Vertragsbedingungen und Folgekosten genannt. Den Kriterien sind jeweils erreichbare Punktzahlen zugeordnet.
Mit Schreiben vom 21.12.2007 nahm die Antragstellerin zu der Rügeantwort der Auftraggeberin vom 3.12.2007 Stellung. Ihre bisherige Rüge ergänzend führte sie aus, bei der Ausschreibung der Lieferung eines Farbdoppler-Ultraschallsystems seien in das Leistungsverzeichnis als Mindestanforderungen die Bezeichnungen "SonoMR" und "dTHI" ohne den Zusatz "oder gleichwertiger Art" aufgenommen. Beide Bezeichnungen seien Alleinstellungsmerkmale der Beigeladenen zu 1. Dies stelle einen Verstoß gegen § 97 Abs. 1 GWB und § 8 Nr. 3 Abs. 5 VOL/A dar und diskriminiere die Antragstellerin sowie andere Mitbewerber, da sie nicht in der Lage seien, ein ausschre...