Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachprüfbarkeit einer Verlegung aus Sicherheitsgründen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 JVollzG ND

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Anfechtung einer Verlegung bleibt beteiligte Vollzugsbehörde i.S.v. § 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG die Anstalt, die die Verlegung angeordnet hat, auch wenn die Verlegung bereits vollzogen ist.

Hält sich eine Strafvollstreckungskammer fälschlich für unzuständig und verweist die Strafvollzugssache nach Anhörung der Beteiligten an ein anderes Landgericht, so ist dieses in entsprechender Anwendung von § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG an den wirksamen Verweisungsbeschluss gebunden.

Der Vollzugsbehörde steht bei der Entscheidung über die Verlegung eines Gefangenen aus Sicherheitsgründen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 NJVollzG ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

Schließt sich das Gericht dem Gutachten eines Sachverständigen an, ohne eigene Erwägungen anzustellen, so muss es in seiner Entscheidung wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen wiedergeben. Das Fehlen dieser Angaben wird nicht nach § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG durch eine allgemeine Bezugnahme "auf den Akteninhalt" geheilt.

 

Normenkette

JVollzG ND § 10 Abs. 1 Nr. 3; StVollzG §§ 85, 111 Abs. 1 Nr. 2, § 115 Abs. 1 S. 3; VwGO § 83; GVG § 17a Abs. 2 S. 3

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf 500 € festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsteller verbüßt eine Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren wegen versuchten vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchtem Mord, davon in einem Fall in drei tateinheitlich und in einem Fall in vier tateinheitlich zusammentreffenden Fällen. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 26. November 2011 wandte er sich gegen die ihm am 31. Oktober 2011 mündlich bekannt gegebene und am selben Tag vollzogene Anordnung seiner Verlegung von der Justizvollzugsanstalt M. in die Justizvollzugsanstalt O. Diesen Antrag hat die 1. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg, nachdem das Verfahren durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück beim Amtsgericht Lingen vom 6. März 2012 an sie verwiesen worden war, mit Beschluss vom 11. April 2012 als unbegründet zurückgewiesen.

Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer hat die Justizvollzugsanstalt M. die Verlegung damit begründet, dass der Antragsteller aufgrund des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen Ka. vom 8. September 2011 in die Sicherheitsstufe II einzuordnen und daher in eine Anstalt mit höherem Sicherheitsstandard zu verlegen gewesen sei. Der Gutachter habe ausgeführt, dass "das Verhalten des Antragstellers außerhalb einer Haftanstalt völlig unkalkulierbar und eine günstige Legalprognose nicht erkennbar" sei. Die "zu den Taten führende Psychodynamik" sei "nach wie vor ungebrochen". Auch im Vollzug stelle der Antragsteller "für Bedienstete und Mitgefangene eine erhebliche Gefahr" dar. In den Entscheidungsgründen hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, dass es nicht zu beanstanden sei, dass die Antragsgegnerin vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verlegung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 NJVollzG und für eine Überstellung nach § 10 Abs. 2 NJVollzG ausgegangen sei. Die Vollzugsbehörde habe weder den ihr nach § 10 NJVollzG zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten noch ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Das Gericht folge insoweit "der Begründung der angefochtenen Entscheidung der Antragsgegnerin und der weiteren seitens der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren abgegebenen Stellungnahmen".

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde vom 9. Mai 2012. Er rügt zunächst die Verletzung des gesetzlichen Richters, weil die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg sich an den Verweisungsbeschluss gebunden erachtet habe, ohne das vom Gesetz vorgesehene Verfahren über einen Zuständigkeitsstreit nach § 14 StPO durchzuführen. Des Weiteren rügt er die Verletzung der Amtsaufklärungspflicht und erhebt die allgemeine Sachrüge.

II. Das Rechtsmittel hat (zumindest vorläufig) Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Dies beruht allerdings nicht auf einer Verletzung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg war nicht gehalten, die Sache gemäß § 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m. § 14 StPO dem Oberlandesgericht Celle als gemeinschaftlichem oberen Gericht in Strafvollzugssachen zur Entscheidung eines Zuständigkeitsstreits vorzulege...

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