Entscheidungsstichwort (Thema)
Dass ein dringender Grund für die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb fehlt, ist nicht deshalb i.S.d. § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 3 GWB erkennbar, weil die Dringlichkeit nicht näher begründet ist
Leitsatz (amtlich)
1. Die Angabe der Vergabestelle als Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren und im Verfahren der sofortigen Beschwerde ist regelmäßig dahingehend auszulegen, dass Antragsgegner die hinter der Vergabestelle stehende juristische Person ist, für die die Vergabestelle gehandelt hat.
2. Zur Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb.
3. Dass ein dringender Grund für die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb fehlt, ist nicht deshalb i.S.d. § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 3 GWB erkennbar, weil die Dringlichkeit nicht näher begründet ist.
4. Einer Bieterin droht aufgrund der fehlerhaften Wahl des Verhandlungsverfahrens ein Schaden i.S.d. § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB unabhängig davon, ob ihr bisher abgegebenes Angebot zuschlagsfähig war und ob der Auftraggeber tatsächlich Verhandlungen mit anderen Bietern geführt hat.
Normenkette
GWB §§ 101a, 101b Abs. 1 Nr. 1, § 107 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 107 Nr. 3; VOL/A EG § 3 Abs. 4 lit. d
Verfahrensgang
VK Niedersachsen (Beschluss vom 10.07.2014; Aktenzeichen VgK-17/2014) |
Tenor
Der Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 10.7.2014 (Az.: VgK - 17/2014) wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der unter dem 15.5.2014 erteilte Zuschlag im Vergabeverfahren "Beschaffung von Hauptmaschinen für ein Küstenboot W 3", Geschäftszeichen 03.34-02435-GPJ-018/2014, auf das Angebot der Z. P. S. GmbH & Co. KG gem. § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB von Anfang an unwirksam ist.
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, das Vergabeverfahren in den Stand vor der Wahl der Verfahrensart zurückzuversetzen und einen Vertrag über die Beschaffung von Hauptmaschinen für ein Küstenboot W 3 bei fortbestehender Beschaffungsabsicht erst nach erneuter Durchführung eines unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats gestalteten Verfahrens abzuschließen.
Der Antragsgegner und die Beigeladene haben als Gesamtschuldner die für die Amtshandlungen der Vergabekammer entstandenen Kosten zur Hälfte zu tragen. Der Antragsgegner und die Beigeladene haben der Antragstellerin jeweils ein Viertel ihrer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung vor der Vergabekammer entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin war notwendig.
Die Antragstellerin hat die für die Amtshandlungen der Vergabekammer entstandenen Kosten zur Hälfte zu tragen. Sie hat dem Antragsgegner und der Beigeladenen jeweils die Hälfte ihrer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung vor der Vergabekammer entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen war notwendig.
Der Antragsgegner und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin zu tragen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 66.163,43 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Der Antragsgegner schrieb im April 2014 die Beschaffung von Hauptmaschinen für ein Küstenboot der W. im "beschleunigten Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb" aus. Die Vergabeunterlagen versandte er an drei ausgewählte Anbieter, u.a. an die Antragstellerin und die Beigeladene. Die Unterlagen enthielten Mindestanforderungen für die anzubietenden Maschinen. Der Zuschlag sollte auf das Angebot mit dem niedrigsten Preis erteilt werden. Nach Nr. 1.15 der Leistungsbeschreibung "Allgemeiner Teil" (Teil A) sollte - "auf Grund der besonderen Dringlichkeit" die Informationspflicht nach § 101 GWB entfallen. Eine weitere ausdrückliche Begründung hierfür oder für die gewählte Verfahrensart enthielten die Ausschreibungsunterlagen nicht.
Nach Ablauf des Termins für die späteste Zuschlagserteilung am 16.5.2014 stellte die Antragstellerin auf Grund der öffentlichen Bekanntmachung der Zuschlagserteilung fest, dass der Antragsgegner den Zuschlag an die Beigeladene erteilt hatte. Daraufhin erhob die Antragstellerin am 19.5.2014 "Einspruch" gegen den Zuschlag und führte aus, dass das Angebot der Beigeladenen nicht den Mindestanforderungen entsprechen könne. Nach anwaltlicher Beratung rügte sie am 26.5.2014 auch die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb und den Verzicht auf eine Vorabinformation der Bieter. Der Antragsgegner wies diese Rügen zurück. Daraufhin beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens mit dem Antrag, die Unwirksamkeit der Zuschlagserteilung festzustellen und das Angebot der Beigeladenen auszuschließen, hilfsweise das Vergabeverfahren in den Stand vor der Bekanntmachung zurück zu versetzen.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Die Antragstellerin ...