Leitsatz (amtlich)

Zur Ablehnung eines Sacherständigen im Vergabeverfahren

 

Normenkette

GWB § 110 Abs. 2, § 57 Abs. 2; ZPO § 406

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Niedersachsen (Beschluss vom 27.04.2010; Aktenzeichen VgK-48/2009)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsstellerin wird die unter Ziff. 1 des Tenors des Beschlusses der Vergabekammer Niedersachsen vom 27.4.2010 (VgK-48/2009) getroffene Entscheidung abgeändert.

Die Ablehnung des Sachverständigen Dr. M wegen der Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 21.8.2009 ein Nachprüfungsverfahren gegen den Antragsgegner beantragt. Mit Beschluss vom 4.2.2010 hat die Vergabekammer beschlossen, Beweis zu erheben über die Frage, ob die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen in bestimmten Punkten von den Vorgaben der Ausschreibung abweichen. Zum Sachverständigen hat die Vergabekammer Herrn Dr. M bestimmt. Unter dem 18.3.2010 hat der Sachverständige sein Gutachten erstellt. Mit Schriftsatz vom 1.4.2010 hat die Antragstellerin den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Vergabekammer hat den Befangenheitsantrag dem Sachverständigen zur Stellungnahme zugeleitet. Mit Schreiben vom 13.4.2010 hat der Sachverständige zu dem Ablehnungsantrag der Antragstellerin Stellung genommen. Mit Schriftsatz vom 21.4.2010 hat die Antragstellerin ihren Ablehnungsantrag ergänzend auf eine Erklärung des Sachverständigen in dieser Stellungnahme gestützt. Mit Beschluss vom 27.4.2010 hat die Vergabekammer den Ablehnungsantrag als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin. Sie meint, die Vergabekammer sei von einem unzutreffenden Verständnis des Rechts zur Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ausgegangen.

Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss der Vergabekammer vom 27.4.2010 aufzuheben und dem Ablehnungsantrag der Antragstellerin vom 1.4.2010 stattzugeben.

Der Antragsgegner beantragt, die sofortige Beschwerde zu verwerfen.

II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

Das ergibt sich allerdings nicht aus § 116 Abs. 1 GWB. Denn mit "Entscheidungen der Vergabekammer" i.S.v. § 116 Abs. 1 GWB ist grundsätzlich nur die Hauptsacheentscheidung, also der die "Instanz" abschließende Beschluss über den Nachprüfungsantrag gemeint. Zwischenentscheidungen sind regelmäßig nur in den wenigen gesetzlich geregelten Fällen mit der sofortigen Beschwerde angreifbar. Diese restriktive Behandlung einer isolierten Beschwerde gegen Zwischenentscheidungen ist dem in Vergabenachprüfungsverfahren durch § 113 GWB mit besonderer Geltungskraft ausgestatteten Beschleunigungsgebot geschuldet (vgl. Weyand, ibr-online-Kommentar Vergaberecht 2009, Stand: 18.3.2010, § 116 GWB Rz. 3800/1 ff.; Hunger in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl., § 116 Rz. 8; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.6.2009 - VII-Verg 17/09, zitiert nach juris, Tz. 8; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.12.2007 - VII-Verg 40/07, zitiert nach juris, Tz. 14 ff.).

Die Beschwerde ist aber gem. §§ 110 Abs. 2 S. 5, 57 Abs. 2 GWB, § 406 Abs. 5 ZPO zulässig. Bei der Entscheidung der Vergabekammer, mit der die Ablehnung eines Sachverständigen für unbegründet erklärt worden ist, handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall einer Zwischenentscheidung im o.g. Sinn, die ausnahmsweise isoliert mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann. Nach § 57 Abs. 2 Satz 2 GWB ist für die Entscheidung über die Beschwerde das OLG zuständig.

2. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Die Ablehnung des Sachverständigen Dr. M wegen der Besorgnis der Befangenheit war für begründet zu erklären.

a) Die Ablehnung eines Sachverständigen findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen, §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Eine solche Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann berechtigt sein, wenn der Sachverständige seine gutachterlichen Äußerungen in einer Weise gestaltet, dass sie als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2005 - VI ZB 74/04, zitiert nach juris, Tz. 12). Hiervon ist regelmäßig auszugehen, wenn der Sachverständige bei der Gutachtenerstellung eigenmächtig über die ihm durch den Beweisbeschluss und den Gutachtenauftrag gezogenen Grenzen hinaus geht und den Prozessbeteiligten in unzulässiger Weise den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtsstreits weist. Dabei rechtfertigt nicht jede Überschreitung des Gutachtenauftrags bereits die Besorgnis der Befangenheit. Vielmehr ist insoweit eine Entscheidung nach Lage ...

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