Entscheidungsstichwort (Thema)

Die Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB greift nicht ein, wenn der Auftraggeber Wettbewerb nicht nur für gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen, sondern auch für gewerblich tätige Unternehmen eröffnet.

 

Leitsatz (amtlich)

Die Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB greift nicht ein, wenn der Auftraggeber Wettbewerb nicht nur für dort genannte gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen, sondern auch für gewerblich tätige Unternehmen eröffnet.

 

Normenkette

GWB § 107 Abs. 1 Nr. 4, § 155 ff.; NRettDG § 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

VK Lüneburg (Aktenzeichen VgK-19/2019)

 

Tenor

Der Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung vom 3. Juni 2019 zum Geschäftszeichen VgK-19/2019 wird aufgehoben.

Die Vergabekammer wird verpflichtet, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut über die Sache, einschließlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens, zu entscheiden.

Der Senat sieht davon ab, vorläufige Maßnahmen entsprechend § 169 Abs. 3 S. 1 GWB anzuordnen. Die Vergabekammer hat über diese Anträge in eigener Zuständigkeit zu entscheiden.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 1.500.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsgegner schrieb mit EU-Vergabebekanntmachung vom 24. August 2018 die Durchführung von Leistungen des Rettungsdienstes (Notfallrettung, qualifizierter Krankentransport und Komponenten des erweiterten Rettungsdienstes) europaweit im offenen Verfahren aus. Die Ausschreibung richtete sich nicht ausschließlich an gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen.

Die Antragstellerin gab ein Angebot für das hier streitgegenständliche Regionallos 3 ab, erhielt jedoch den Zuschlag nicht, da sie nicht bestplatziert war. Nachdem der Antragsgegner den Zuschlag für dieses Regionallos der Beigeladenen erteilt hatte, erfuhr die Antragstellerin, dass die Beigeladene im Einverständnis mit dem Antragsgegner beabsichtigt, eine Rettungswache außerhalb des in der Ausschreibung näher bezeichneten Suchgebietes zu betreiben, obwohl u.a. in der bekannt gemachten Leistungsbeschreibung vorgegeben war, dass Standorte zwingend innerhalb der näher bezeichneten räumlichen Vorgaben festzulegen seien. Die Antragstellerin ist der Auffassung, durch diese abweichende Ausgestaltung des Vertrages sei dieser entsprechend § 132 GWB unwirksam.

Nach dem zwischen der Antragstellerin und der Beigeladenen geschlossenen Vertrag sollen Leistungen ab dem 1. Juli 2019 erbracht werden.

Die Vergabekammer hat den u.a. auf Feststellung der Unwirksamkeit dieses Vertrages gerichteten Nachprüfungsantrag mit dem angefochtenen Beschluss als (offensichtlich) unzulässig zurückgewiesen. Der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen sei nicht eröffnet, weil die beanstandete Beauftragung unter die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB falle.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der diese unter anderem beantragt,

1. Der Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung vom 3. Juni 2019 zum Geschäftszeichen VgK-19/2019 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass der am 18. Februar 2019 zwischen dem Antragsgegner und dem Beigeladenen geschlossene Vertrag zur Erbringung von Aufgaben des Rettungsdienstes auf dem Gebiet des Landkreises Celle - Los 3: Südheide/Eschwede unwirksam ist.

3. Das Vergabeverfahren über die Vergabe von Aufgaben des bodengebundenen Rettungsdienstes auf dem Gebiet des Landkreises Celle - Los 3: Südheide/Eschede wird in den Stand vor der Angebotswertung zurückversetzt und die eingegangenen Angebote nach Maßgabe der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu gewertet

(...)

9. Dem Antragsgegner wird im Wege einer vorläufigen Maßnahme nach § 169 Abs. 3 S. 1 GWB (analog) bis zu einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorläufig untersagt, den Vertrag mit dem Beigeladenen zur Durchführung des Rettungsdienstes auf dem Gebiet des Landkreises Celle - Los 3: Südheide/Eschede weiter zu vollziehen.

10. Dem Antragsgegner wird im Wege einer vorläufigen Maßnahme nach § 169 Abs. 3 S. 1 GWB (analog) bis zu einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde aufgegeben, die Leistungen im Rahmen des Auswahlverfahrens gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 NRettDG zur Durchführung des Rettungsdienstes auf dem Gebiet des Landkreises Celle - Los 3: Südheide/Eschede interimsmäßig unter Beteiligung der Antragstellerin nur für den begrenzten Zeitraum zu vergeben, bis über die sofortige Beschwerde rechtskräftig entschieden worden ist.

(...)

Alle Beteiligten haben sich nach Hinweis durch den Senat mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

1. Der Senat entscheidet im Einverständnis aller Beteiligter nach § 175 Abs. 2, § 69 Abs. 1 GWB im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung.

2. Die Vergabekammer hat den Nac...

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