Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht bei Einbeziehung eines Urteils
Leitsatz (amtlich)
Wird ein Urteil, in dem gemäß § 111i Abs. 2 StPO a.F. von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz wegen entgegenstehender Ansprüche Verletzter abgesehen worden ist, nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG einbezogen, ist die Entscheidung über das Absehen von der Verfallsanordnung neu zu treffen. Unterbleibt dies, entfällt auch der Auffangrechtserwerb des Staates mangels materiell-rechtlicher Grundlage.
Normenkette
StGB § 73 Abs. 1, §§ 74, 74e; JGG § 2 Abs. 2, § 8 Abs. 3, § 31 Abs. 2 S. 1, § 105 Abs. 1; EGStPO § 14; StPO § 111i Abs. 2-3, 5-6
Verfahrensgang
LG Stade (Entscheidung vom 27.12.2019; Aktenzeichen 1306 KLs 2/15) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stade gegen den Beschluss der 13. großen Strafkammer des Landgerichts Stade vom 27. Dezember 2019 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Feststellung des staatlichen Auffangrechtserwerbs an gesichertem Vermögen des Verurteilten (§ 111i Abs. 5, Abs. 6 StPO a.F.). Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
1. Die 13. große Strafkammer des Landgerichts Stade als Jugendkammer sprach den Verurteilten als Heranwachsenden am 26. Mai 2016 wegen Computerbetrugs u.a. schuldig und verhängte unter Anwendung von Jugendrecht Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel gegen ihn. Von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe von 8.745,03 Euro sah das Landgericht ab, weil Ansprüche Verletzter entgegenstanden. Mit Beschluss vom selben Tag hielt das Landgericht den mit Beschluss des Amtsgerichts Stade vom 8. Mai 2015 zur Rückgewinnungshilfe angeordneten dinglichen Arrest für die Dauer von drei Jahren ab Rechtskraft des Urteils aufrecht. Das Urteil ist seit dem 3. Juni 2016 rechtskräftig.
2. Am 27. Juli 2017 verhängte das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Stade gegen den Verurteilten wegen weiterer Taten eine Jugendstrafe von zwei Jahren und ordnete die Einziehung des Wertes des aus diesen Taten Erlangten in Höhe von 4.873,50 Euro an. Von der Einbeziehung des noch nicht vollständig vollstreckten Urteils des Landgerichts Stade vom 26. Mai 2016 sah das Amtsgericht aus erzieherischen Gründen ab. Auf die Berufung des Angeklagten änderte die 2. große Jugendkammer des Landgerichts Stade am 16. November 2017 das Urteil des Amtsgerichts in der Rechtsfolge dahin ab, dass der Angeklagte unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts Stade vom 26. Mai 2016 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt wurde. Zugleich ordnete das Landgericht die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 4.873,50 Euro an. Zu der Verfallsentscheidung aus dem einbezogenen Urteil verhält sich dieses Urteil, das seit dem 24. November 2017 rechtskräftig ist, nicht.
3. Unter dem 30. September 2019 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, das Landgericht Stade möge durch Beschluss feststellen, dass das Land Niedersachsen mit Ablauf des 2. Juni 2016 bis zu einem Betrag von 7.681,43 Euro das Eigentum an den bei dem Verurteilten gesicherten Vermögenswerten erworben hat. Grundlage hierfür sei das Urteil des Landgerichts Stade vom 26. Mai 2016. Die spätere Einbeziehung dieses Urteils in das Urteil des Landgerichts Stade vom 16. November 2017 stehe dem nicht entgegen, weil das Absehen von der Verfallsanordnung keinen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweise, sodass bei Einbeziehung des Urteils nicht über die Aufrechterhaltung einer materiell-rechtlichen Rechtsfolge nach dem Strafgesetzbuch zu befinden gewesen sei.
4. Mit Beschluss vom 27. Dezember 2019 hat die 13. große Strafkammer des Landgerichts Stade als Jugendkammer den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt, weil durch die Einbeziehung ihres Urteils vom 26. Mai 2016 in das Berufungsurteil vom 16. November 2017 die Grundlage für die beantragte Feststellung des Auffangrechtserwerbs weggefallen sei.
5. Gegen diesen - ihr am 3. Januar 2020 zugestellten - Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Stade am 7. Januar 2020 sofortige Beschwerde eingelegt, welche von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten wird. Zur Begründung wird geltend gemacht, dass die Rechtswirkung der Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO a.F. bereits mit dem ersten Urteil eingetreten sei, sodass über diese bei Einbeziehung des Urteils nicht erneut zu befinden gewesen sei. Das sei vergleichbar mit einer Einziehungsentscheidung nach § 74 StGB a.F., deren Rechtswirkung nach § 74e StGB a.F. bereits mit der ersten Entscheidung eintrete und bei einer Einbeziehung des Urteils nicht aufrechterhalten werden müsse. Die Generalstaatsanwaltschaft ergänzt, dass eine bei Einbeziehung neu zu treffende Feststellungsentscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO a.F. zu einer faktischen Verlängerung der Dreijahresfrist des § 111i Abs. 3 Satz 1 StPO a.F. führen würde, obwohl diese als nicht...