Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer bei Organisationshaft und Anfechtbarkeit einer Beschwerdeentscheidung bei Unzuständigkeit des Erstgerichts
Leitsatz (amtlich)
1. Sogenannte Organisationshaft ist eine die sachliche und funktionelle Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer begründende Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im Sinne des § 462a Abs. 1 StPO.
2. Die rechtsfehlerhafte Verwerfung einer sofortigen Beschwerde gegen einen vom Amtsgericht beschlossenen Bewährungswiderruf durch das Landgericht kann in Fällen, in denen nach § 462a Abs. 1 StPO nicht das Amtsgericht als Gericht des ersten Rechtszuges, sondern eine Strafvollstreckungskammer für die Entscheidung zuständig gewesen wäre, grundsätzlich nicht als Erstentscheidung des sachlich zuständigen Landgerichts gewertet werden, gegen die eine sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht statthaft ist. Denn dies liefe auf die Zulassung einer nach § 310 Abs. 2 StPO ausgeschlossenen weiteren Beschwerde hinaus. In Betracht kommt eine solche Umdeutung in Ergänzung der Ausnahmetatbestände des § 310 Abs. 1 StPO nur, wenn sich die fehlerhafte Sachbehandlung durch das Amtsgericht und Landgericht zugleich als Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters (§ 101 Abs. 1 Satz 1 GG) darstellt.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; StGB § 56f Abs. 1; StPO § 310 Abs. 1-2, §§ 311, 462a Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 03.11.2015; Aktenzeichen 40 Qs 87/15) |
Tenor
Der Senat ist zu einer Entscheidung nicht berufen.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 20. September 2012 setzte das Amtsgericht Hannover die Vollstreckung des Strafrestes einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, zu der der Verurteilte am 24. Februar 2011 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden war, gemäß § 36 Abs. 1 BtMG zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf zwei Jahre festgesetzt. Die Bewährungszeit begann am 5. Oktober 2012.
Nach Ablauf der Bewährungszeit erließ das die Bewährungsaufsicht führende Amtsgericht Hannover mit Beschluss vom 9. Oktober 2014 die Reststrafe gemäß § 56g Abs. 1 Satz 1 StGB.
Mit Urteil vom 4. Juni 2015 wurde der Verurteilte vom Landgericht Hannover wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in neun Fällen, bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen und bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 21 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet. Die Taten, wegen derer der Verurteilte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in neun Fällen und bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen verurteilt wurde, wurden im Zeitraum zwischen April 2014 und dem 12. Juli 2014 begangen. Wegen der in diesem Zeitraum begangenen Taten des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen verhängte das Landgericht Hannover jeweils Einzelstrafen in Höhe von einem Jahr Freiheitsstrafe. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 5. August 2015.
Der Verurteilte befand sich bis zur Rechtskraft dieser Verurteilung in Untersuchungshaft in der JVA R. Dort verblieb er zunächst auch noch nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in sogenannter "Organisationshaft". Nachdem er am 15. September 2015 aus der JVA R. in die JVA S. verlegt worden war, wurde er am 7. Oktober 2015 im Maßregelvollzug nach § 64 StGB im Maßregelvollzugszentrum N. in M. untergebracht.
Mit Antrag vom 21. August 2015, der am 25. August 2015 mit dem Bewährungsheft beim Amtsgericht Hannover einging, übermittelte die Staatsanwaltschaft Hannover eine Abschrift des Urteils des Landgerichts Hannover vom 4. Juni 2015 und beantragte beim Amtsgericht Hannover den Widerruf des am 9. Oktober 2014 beschlossenen Straferlasses und der Aussetzung der Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 24. Februar 2011.
Mit Beschluss vom 23. September 2015 widerrief das Amtsgericht Hannover antragsgemäß den Straferlass und die Strafrestaussetzung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 24. Februar 2011 gemäß §§ 56g Abs. 2, 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB in Hinblick auf die neuerliche Verurteilung des Verurteilten durch das Urteil des Landgerichts Hannover vom 4. Juni 2015.
Gegen diesen Beschluss legte der Verurteilte fristgerecht sofortige Beschwerde gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO ein. Diese Beschwerde verwarf das Landgericht Hannover mit Beschluss vom 3. November 2015 als unbegründet.
Bei ihren Entscheidungen vom 23. September 2015 und vom 3. November 2015 ließen sowohl das Amtsgericht Hannover als auch das Landgericht Hannover außer Betracht, dass sich der Verurteilte seit dem 5. August 2015 nicht mehr in Untersuchungshaft, sondern in sogenannter "Organisationshaft" zunächst in der JVA R. und ab dem 15. September 2015 bis zu seiner Aufnahme in den Maßregelvollzug am 7. Oktober 2...