Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfungsmaßstab für die Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen das Vergaberecht
Leitsatz (amtlich)
Zur Maßgeblichkeit eines PDF - Langtext - Leistungsverzeichnisses
Normenkette
GWB § 160 Abs. 3 Nr. 1
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird die Entscheidung der Vergabekammer vom 28. Mai 2019 aufgehoben und der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin als unzulässig verworfen
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen sowie die notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin und der
Beigeladenen zu tragen.
3. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen im Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
Gründe
I. Der Antragsgegner schrieb mit Bekanntmachung vom 22. Februar 2019 die Deckensanierung zwischen den Anschlussstellen F. und G. europaweit im offenen Verfahren als Bauauftrag in fünf Losen aus, darunter das hier streitgegenständliche Los 1 betreffend den Straßenbau. Einziges Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis.
Die Ausschreibung erfolgte unter Einbeziehung u.a. der HVA B-StB EU-Teilnahme-bedingungen für die Vergabe von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau
(Anlage AG 10), die unter B.3 einen Ausschluss von Hauptangeboten mit negativen Einheitspreisen enthalten, soweit solche Preise nicht ausdrücklich für bestimmte OZ (Positionen) in der Leistungsbeschreibung zugelassen sind.
Den Interessenten wurde vom Antragsgegner auf dem elektronischen Vergabeportal neben einem PDF-Langtext-Leistungsverzeichnis eine GAEB D83-Austauschdatei (im Folgenden: D-Datei) zur Verfügung gestellt, aus der die Bieter mit Hilfe der bei ihnen vorhandenen (Kalkulations-)Software wie "R5" oder "FiVe" verschiedene Ansichten eines Leistungsverzeichnisses generieren konnten.
Das den Bietern zum vollständigen Download zur Verfügung gestellte
PDF-Langtext-Leistungsverzeichnis enthält vor der OZ 01.03.0005 den Hinweis:
"Hinweis zur OZ 01.03.0005
Asphaltfräsarbeiten:
Es sind negative Einheitspreise zugelassen."
Das Entwurf-Kurztext-/Preis-Verzeichnis, welches die Antragstellerin gemäß den Anforderungen des Antragsgegners mit ihrem Angebot eingereicht hat, lautet vor der OZ 01.03.0005 wie folgt:
"Hinweis zur OZ 01.03.0005"
Das (Kurztext-)Leistungsverzeichnis enthält ferner in der Kopfzeile des Inhaltsverzeichnisses den Hinweis
"Die im Vertrags-Leistungsverzeichnis mit Standardleistungs-Nummer (StL-Nr) gekennzeichneten Beschreibungen der Teilleistungen (OZ) sind nachstehend aufgeführten Leistungsbereichen des STLK/RLK entnommen. Bei Nutzung der elektronischen Fassung des STLK-Langtextes kann eine vollständige Datenübernahme bzw. -einsicht nur bei Verwendung des AVA-Programmsystems des Auftraggebers gewährleistet werden. Bei Widersprüchen gilt der Wortlaut im Langtext-Verzeichnis der Papierversion".
Die D-Datei wird in der Standardkonfiguration vor der OZ 01.03.0005 mit folgendem Hinweis dargestellt:
"Asphaltfräsarbeiten:
Es sind negative Einheitspreise zugelassen."
Gemäß Ziffer 8 des Angebotsschreibens (Anlage AG 26) erklärten die Bieter mit Unterzeichnung u.a. Folgendes:
"Ich/Wir erkläre(n), dass - ich/wir den Wortlaut der vom Auftraggeber verfassten Langfassung des Leistungsverzeichnisses als allein verbindlich anerkenne(n). ..."
Die Antragstellerin gab am 27. März 2019 ein Angebot ab (auszugsweise vorgelegt als Anlage AG 12), das für die Positionen OZ 01.03.0005, OZ 01.03.0006 und OZ 01.03.0008, die allesamt Asphaltfräsarbeiten betreffen, negative Einheitspreise enthielt. Ihr 14-seitiges "Angebots-Leistungsverzeichnis" enthielt vor der Unterschrift die Erklärung:
"Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A erklären wir, dass wir den vom Auftraggeber verfassten Wortlaut der Urschrift des LV's als allein verbindlich anerkennen."
Das Kurztext-Leistungsverzeichnis reichte die Antragstellerin mit ihrem Angebot ein, trug dort aber nur auf der letzten Seite unter "Zusammenstellung des Angebotes" die Preise ein.
Mit Informationsschreiben vom 12. April 2019 (Anlage AG 13), teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot nicht zugelassene negative Einheitspreise enthalte und deshalb von der weiteren Wertung auszuschließen sei.
Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 15. April 2019 (Anlage AG 14) ihren Ausschluss vom Vergabeverfahren, weil der Umstand, dass die Zulassung negativer Preise sich nur auf eine Position beschränke, aus der für die Kalkulation verwendeten D-Datei nicht erkennbar sei. Dieser Fehler der Vergabestelle könne nicht zu Lasten der Antragstellerin gehen.
Nachdem der Antragsgegner der Rüge nicht abgeholfen hatte, hielt die Antragstellerin zunächst mit Schreiben vom 18. April 2019 (Anlage AG 16) ihre Rüge aufrecht und rügte darüber hinaus das Verbot negativer Einheitspreise als generell unzulässig.
Nach erneuter Verweigerung der Abhilfe durch den Antragsgegner hat die Antragstellerin sodann mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25. April 2019 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer beantragt. Sie hat gemeint, der Antrag...