Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozial-familiäre Beziehung im Sinne von § 1685 Abs. 2 S. 1 BGB beim Umgangsbegehren eines entfernten Verwandten des Kindes
Leitsatz (amtlich)
Die Anforderungen an die Feststellung einer sozial-familiären Beziehung gemäß § 1685 Abs. 2 S. 1 BGB sind geringer, wenn nur durch den Kontakt zu diesem, den Umgang begehrenden entfernten Verwandten (Großtante) dem Bedürfnis des Kindes Rechnung getragen werden kann, einen Teil seiner Herkunftsfamilie kennen zu lernen.
Normenkette
FamFG § 76; ZPO § 114; BGB § 1685 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
AG Hannover (Aktenzeichen 609 F 3335/15) |
Tenor
Der Antragstellerin wird auf ihre sofortige Beschwerde vom 8.10.2015 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt.
Ihr wird Rechtsanwalt M. in H. zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung. Nach Ansicht des Senats können die Erfolgsaussichten des von der Antragstellerin begehrten Umgangs mit ihrem Großneffen nicht von vorneherein verneint werden, vgl. § 76 Abs. 1 FamFG i. Vm. § 114 ZPO.
1. Zutreffend ist das AG davon ausgegangen, dass vorliegend nur auf der Grundlage des § 1685 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Umgangsrecht der Antragstellerin als Großtante des Kindes in Betracht kommt. Ein Recht auf Umgang mit einem Kind haben danach auch Personen mit einer sozial-familiären Beziehung zum Kind, wenn diese für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben, § 1685 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Aufzählung der Umgangsberechtigten nach Abs. 1 der Vorschrift, welche sich auf Großeltern und Geschwister eines Kindes beschränkt, kann hingegen nicht auf andere Verwandte analog angewendet werden (Staudinger/Rauscher, BGB, Bearb. 2014, § 1685 Rn. 15).
a) Maßgeblich ist somit das Verständnis von dem Begriff der sozial-familiären Beziehung zu einer engen Bezugsperson im Sinne von § 1685 Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Begriff wurde vom Bundesverfassungsgericht in einem Verfahren um das Umgangsrecht eines leiblichen - nicht aber rechtlichen - Vaters eingeführt (vgl. BVerfG, FamRZ 2003, 816). Hierauf hat der Gesetzgeber bei der Erweiterung der umgangsberechtigten Personen auf weitere Bezugspersonen des Kindes zurückgegriffen (vgl. RegE v. 17.12.2003, BT-Drucks. 15/2253 S. 7). Danach muss zwischen dem Umgangswilligen und dem Kind eine soziale Beziehung bestehen, die darauf beruht, dass der Umgangswillige zumindest eine Zeit lang tatsächlich Verantwortung für das Kind getragen hat (BVerfG, aaO). Es muss somit eine gewachsene soziale Familienbeziehung, in der das Kind gelebt hat, festzustellen sein (Staudinger/Rauscher, aaO, § 1685 Rn. 9).
Neben dieser mit einer Familie vergleichbaren Vertrauensbeziehung zwischen dem Umgangswilligen und dem Kind muss es sich zudem um eine enge Bezugsperson des Kindes handeln. Durch diese Begrenzung wird deutlich gemacht, dass nur solche Personen erfasst sein sollen, deren Verantwortung für das Kind familiäre, insbesondere elterngleiche Züge trägt (Staudinger/Rauscher, aaO Rn. 9a).
b) Es kann nach der im Verfahrenskostenhilfestadium gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht ausgeschlossen werden, dass die Beziehung zwischen der Antragstellerin und dem betroffenen Kind in der Vergangenheit einen persönlich-vertrauten Grad erreicht hatte, der die vorstehenden Kriterien erfüllt. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Vertrautheit zwischen der Antragstellerin und ihrem Großneffen infolge des Zeitablaufs wahrscheinlich nicht mehr besteht. Es genügt vielmehr, dass an eine früher aufgebaute enge Beziehung wieder angeknüpft werden kann (BGH, FamRZ 2005, 705, 706). Ebenso wenig ist es erforderlich, dass A. längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft mit der Antragstellerin gelebt hat, wie sich im Umkehrschluss aus der Vermutungsregel des § 1685 Abs. 2 Satz 2 BGB entnehmen lässt.
aa) Nach Darstellung der Antragstellerin hatte sie von Geburt an Kontakt zu A.. Nach der Trennung der Kindeseltern Ende 2012 habe A. bis Oktober 2013 etwa jedes dritte Wochenende etwa fünf Stunden in ihrem Haushalt verbracht. Dabei sei sie zeitweise allein für A. verantwortlich gewesen, wenn der Kindesvater die Zeit für sich allein genutzt habe.
bb) Obgleich A. somit nur über einen Zeitraum von etwa zehn Monaten und in einem Alter von ein bis zwei Jahren bloße Wochenendkontakte zur Antragstellerin hatte, kann bei den gegebenen Umständen nicht von vornherein angenommen werden, dass die Voraussetzungen einer sozial-familiären Beziehung nicht vorliegen. Allerdings bleibt eine genauere Ermittlung der Häufigkeit, Dauer und Ausgestaltung der früheren Kontakte zwischen der Antragstellerin und A. dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Angesichts der vorliegenden Ausnahmesituation ist der Senat der Auffassung, dass in diesem besonderen Einzelfall ein großzügiger Maßstab bei der Prüfung geboten ist, ob ein sozial-familiäres Verhältnis zwischen der Antragst...