Leitsatz (amtlich)
Das Anfertigen von Ausdrucken dem Verteidiger im Rahmen der Akteneinsicht überlassener, auf CDs gespeicherter Textdateien ist jedenfalls bei einem weit überdurchschnittlichen Umfang (hier: 81.900 Telefongespräche auf 43.307 Seiten) zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten.
Ein Antrag auf Festsetzung solcher notwendiger Verteidigerauslagen kann nicht mit der Begründung, der Angeklagte werde durch zwei Verteidiger vertreten, die in einer Bürogemeinschaft verbunden sind, so dass die Dateien nur einmal hätten ausgedruckt werden müssen und unter den Verteidigern hätten ausgetauscht werden können, abgelehnt werden.
Der Grundsatz der kostenschonenden Prozessführung kann es jedoch gebieten, durch entsprechende Einstellungen beim Ausdruck die Zahl der Seiten zu verringern.
Normenkette
RVG-VV Nr. 7000; RVG § 46 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 26.08.2011; Aktenzeichen 46 KLs 6031 Js 94687/04 (19/09)) |
Tenor
1. Das Verfahren wird wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).
2. Die Beschwerden der Landeskasse und die Anschlussbeschwerden der Verteidiger gegen die Beschlüsse der 12. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 26. August 2011 werden als unbegründet verworfen.
3. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Mit Anträgen vom 7. Januar 2010 ersuchten die beiden Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwältin V. und Rechtsanwalt S., das Landgericht Hannover jeweils um Erstattung von Auslagen nach Nr. 7000 VV RVG in Höhe von je 6.513,55 Euro zzgl. 19 % MWSt für das Anfertigen von Ausdrucken ihnen im Rahmen der Akteneinsicht überlassener, auf CDs gespeicherter Textdateien, die Kurzübersetzungen von insgesamt 81.900 überwachten Telefongesprächen enthielten. Es handelte sich jeweils um 43.307 Seiten, von denen jeweils die ersten 50 mit 0,50 Euro und alle weiteren mit je 0,15 Euro veranschlagt wurden.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts lehnte mit Beschlüssen vom 29. April 2011 die Kostenerstattungsanträge beider Verteidiger mit der Begründung ab, dass das Anfertigen der Ausdrucke nicht notwendig gewesen sei, weil die Dateien auch auf CDs hätten kopiert oder auf einer Festplatte hätten gespeichert und jederzeit eingesehen werden können.
Auf die Erinnerungen beider Verteidiger, denen die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen hat, hat die 12. große Strafkammer des Landgerichts Hannover durch die Einzelrichterin mit Beschlüssen vom 26. August 2011 die Beschlüsse der Urkundsbeamtin jeweils dahingehend abgeändert, dass beiden Verteidigern jeweils die Hälfte der beantragten Auslagen aus der Landeskasse zu erstatten sei, und die Erinnerungen im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass das Anfertigen von Ausdrucken der Textdateien grundsätzlich erforderlich gewesen sei, weil das Lesen von 43.307 Seiten am Computerbildschirm unzumutbar sei. Da beide Verteidiger aber denselben Angeklagten verträten und in einer Bürogemeinschaft verbunden seien, hätte es ausgereicht, die Dateien nur einmal auszudrucken und nach Durchsicht untereinander auszutauschen. Die Beschlüsse wurden der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Hannover am 9. September 2011, Rechtsanwalt S. am 12. September 2011 und Rechtsanwältin V. am 13. September 2011 zugestellt.
Mit Schreiben vom 13. September 2011, das am 15. September 2011 bei der 12. großen Strafkammer eingegangen ist, hat die Landeskasse Beschwerde gegen die Beschlüsse vom 26. August 2011 erhoben und beantragt, die Beschlüsse aufzuheben und die Erinnerungen der Verteidiger vollumfänglich zurückzuweisen.
Hierauf haben Rechtsanwältin V. mit Schreiben vom 30. September 2011 und Rechtsanwalt S. mit Schreiben vom 4. Oktober 2011 ihrerseits beantragt, die Beschwerde der Landeskasse zurückzuweisen und darüber hinaus die Beschlüsse vom 26. August 2011, soweit sie die Erinnerungen zurückweisen, aufzuheben und die Erstattung der Auslagen in voller Höhe anzuordnen.
Die Landeskasse hatte hierzu rechtliches Gehör.
II. Die Beschwerden der Landeskasse und die Anschlussbeschwerden der Verteidiger haben keinen Erfolg.
Das Landgericht hat - im Ergebnis - zu Recht angeordnet, dass den Verteidigern jeweils nur die Hälfte der Auslagen für das Anfertigen der Ausdrucke aus der Landeskasse zu erstatten ist.
1. Nach Nr. 7000 VV RVG erhält der Rechtsanwalt u. a. die Aufwendungen für Ausdrucke aus Gerichtsakten erstattet, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Bei dieser Beurteilung ist auf die Sicht abzustellen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Rechtsanwalt haben kann, wenn er sich mit der betreffenden Akte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen Bearbeitung der Sache auftreten können. Dabei darf kein kleinlicher Maßstab angelegt werden. dem Rechtsanwalt ist ein gewisser Ermessenspielraum zuzubilligen (BGH MDR 2005, 956. AGS 2005, 573. MüllerR...