Entscheidungsstichwort (Thema)
Geldbuße gegen juristische Personen. Begriff der Leitungsperson. Gleichstellung von Betrieb und Unternehmen. Voraussetzungen für wettbewerbsbeschränkende Absprachen. Verletzung der Aufsichtspflicht durch Organe einer juristischen Person
Leitsatz (amtlich)
Bei der Prüfung der Frage, ob eine verantwortlich handelnde sonstige Person mit Leitungsfunktion nach § 30 Abs. 1 Ziff. 5 OWiG eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, ist nicht danach zu unterscheiden, ob diese Leitungsfunktion auf Betriebs- oder auf Unternehmensebene ausgeübt wird. Die Vorschrift stellt beide Alternativen gleichwertig nebeneinander.
Nicht nur horizontale, sondern auch vertikale Absprachen, also Absprachen über Preise zwischen einem marktbeherrschenden Anbieter und einem sonst nur als Subunternehmer tätigen Anbieter, sind wettbewerbswidrig und fallen sowohl unter § 298 Abs. 1 StGB als auch unter den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 81 GWB i.V.m. § 1 GWB.
Unterlassen Organe einer juristischen Person Aufsichtsmaßnahmen, die zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen im Betrieb oder Unternehmen erforderlich sind, und begehen dadurch eine Ordnungswidrigkeit nach § 130 Abs. 1 OWiG, kann gemäß § 30 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG gegen die juristische Person eine Geldbuße verhängt werden.
Normenkette
OWiG § 30 Abs. 1, § 130 Abs. 1; StGB § 298; GWB §§ 1, 81
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an dieselbe Strafkammer zurückverwiesen.
Gründe
I. Die Staatsanwaltschaft Verden hatte am 06.02.2009 Anklage wegen des Verdachts zweier wettbewerbsbeschränkender Absprachen im Rahmen von Ausschreibungen (§ 298 StGB) gegen die Mitarbeiter der Nebenbeteiligten R. P. und G. G. vor dem Landgericht Stade erhoben. Am 17. November 2009 erklärte das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (Landeskartellamt) gem. § 80 Satz 2 GWB sein Einverständnis, das damit zusammenhängende Bußgeldverfahren gegen die Firma B. Sicherheitssysteme GmbH ebenfalls bei der Staatsanwaltschaft Verden zu führen. Mit Beschluss vom 03.02.2011 eröffnete die Wirtschaftsstrafkammer in Stade das Hauptverfahren gegen die Angeklagten G. und P. und ordnete die Nebenbeteiligung der B. Sicherheitssysteme GmbH an. Nach Beginn der Hauptverhandlung stellte die Kammer am 13.05.2011 das Verfahren gegen beide Angeklagte jeweils mit der Auflage einer Zahlung von 1.500 € gemäß § 153 a Abs. 2 StPO vorläufig und am 23.05.2011 endgültig ein. Gleichzeitig ordnete sie den Übergang in das objektive Verfahren gegen die Nebenbeteiligte an.
Den Antrag der Staatsanwaltschaft Verden in diesem Verfahren, gegen die Nebenbeteiligte eine Geldbuße in Höhe von 109.628 € zu verhängen, hilfsweise den Verfall von Wertersatz in Höhe von 9.628 € anzuordnen, lehnte die 6. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Stade mit dem angefochtenen Beschluss vom 28.09.2011 ab.
1. Dieser Entscheidung liegt im Kern folgender Sachverhalt zugrunde:
a) Die Nebenbeteiligte, die B. Sicherungssysteme GmbH, ist eine Tochter der R. B. AG. Im Jahr 2007 erzielte sie einen Jahresumsatz von ca. 588.000.000 € und beschäftigte ca. 2.500 Mitarbeiter. Sie ist in mehreren Produktbereichen tätig. Der Hauptjahresumsatz in Höhe von 488.000.000 € entfällt auf die Sparte Gebäudesicherheit/Gebäudetechnik. Der Leiter dieser sogenannten "Business Unit Building Security" ist V. Sch.. Der "Business Unit" sind mehrere Fachbereiche zugeordnet, darunter auch ein Bereich "Finance and Controlling". Der Vertrieb findet statt über die sechs Vertriebsniederlassungen der B. Sicherungssysteme GmbH, die über das Bundesgebiet verteilt sind. Die Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Vertriebsniederlassungen untereinander sind regional abgegrenzt.
b) Die Anklage der Staatsanwaltschaft Verden bezog sich auf Abläufe in der Vertriebsniederlassung H. Niederlassungsleiter dort ist M. B. Die Vertriebsniederlassung H. hatte im Jahr 2009 einen Umsatz von ca. 55.000.000 € und beschäftigte ca. 250 Mitarbeiter. Auch sie ist in mehrere Unterabteilungen für die verschiedenen Fachbereiche gegliedert. Während in der Abteilung "Sales Projects Building Security" das Vertriebsgeschäft abgewickelt wird und die Angebote an Großkunden erstellt werden, ist die Abteilung "Controlling, Finance and Administration Building Security", die auch "Vertriebsinnendienst" genannt wird, für die Finanzkontrolle zuständig. Der Vertriebsinnendienst führt Bonitätsprüfungen hinsichtlich der jeweiligen Auftraggeber durch, überprüft die Angebote auf Richtigkeit und Vollständigkeit und prüft auch die internen Arbeitsabläufe im Hinblick auf die Vorgaben der Unternehmensleitung für die Auftragsbearbeitung.
Aufträge im Wert von mehr als 100.000 € bis 1.000.000 € zeichnet innerhalb der Vertriebsniederlassung neben dem Leiter der Projektabteilung auch der Leiter der Abteilung "Vertriebsinnendienst" mit einer Zweitunterschrift. Leiter des Vertriebsinnendienste...