Leitsatz (amtlich)
Zumindest die außerhalb der Hauptverhandlung beschlossene Beiordnung eines Verteidigers ist mit der Beschwerde anfechtbar. Der Senat neigt dazu, die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen Entscheidungen über die Beiordnung unabhängig vom Verfahrensstand für zulässig zu erachten.
Tenor
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 2. großen Jugendkammer des Landgerichts H. vom 20. Juni 2008 wird verworfen.
Die Landeskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstanden notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten wegen verschiedener Sexual und Betäubungsmitteldelikte am 5. Mai 2008 Anklage zur Jugendkammer erhoben. Seit dem 3. Juli 2008 findet die Hauptverhandlung statt. Für den Angeklagten tritt als Wahlverteidiger Rechtsanwalt R. auf. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Vorsitzende der Jugendkammer dem Angeklagten zudem Rechtsanwälte Dr. H. und A. wegen der Schwierigkeit der Sache und des Umfangs des Verfahrens zur Sicherung der Hauptverhandlung beigeordnet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft, der die Vorsitzende nicht abgeholfen hat.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
1.
Die außerhalb der Hauptverhandlung beschlossene Beiordnung von zwei Pflichtverteidigern durch die Kammervorsitzende ist nach § 304 Abs. 1 StPO mit der Beschwerde anfechtbar. Ihrer Zulässigkeit steht die Vorschrift des § 305 Satz 1 StPO nicht entgegen. Denn nach Wortlaut und Zweck dieser Norm sind nur solche Entscheidungen gemeint, die ausschließlich der Urteilsfällung vorausgehen und keine darüber hinausgehenden Wirkungen erzeugen. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers reicht aber in ihrer prozessualen Wirkung über den Zeitpunkt der Verkündung des Urteils hinaus (so auch die allg. M. für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zumindest vor Beginn der Hauptverhandlung. vgl. OLG Celle, StV 1985, 184. OLG Celle, NStZ 1985, 519. OLG Koblenz, NStZ-RR 1996, 206. OLG Karlsruhe NStZ 1988, 287. OLG Hamm, NStZ 1990, 143. OLG Hamm BeckRS 2004 30340029 unter Aufgabe der entgegenstehenden Ansicht aus MDR 1985, 518. OLG Köln BeckRS 2007 04866 unter Aufgabe der entgegenstehenden Ansicht aus NJW 1981, 1523. OLG Hamburg StraFo 2000, 383 unter Aufgabe der entgegenstehenden Rechtsprechung in NStZ 1985, 88. OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 244. OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 207. OLG München NJW 1981, 2208. KK-Laufhütte, § 141 Rn. 13. Meyer-Goßner, § 141 StPO Rn. 9. LR-Lüderssen/Jahn, § 141 StPO Rn. 48). Dass der Senat die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers in NStZ 1998, 637 unter Verweis auf § 305 Satz 1 StPO abgelehnt hat, steht hierzu nicht im Widerspruch. Im dort zu entscheidenden Sachverhalt war die Entscheidung des Vorsitzenden während der Hauptverhandlung ergangen. Ob der Beginn der Hauptverhandlung insoweit eine für die Zulässigkeit einer Beschwerde relevante Zäsur darstellt, war vorliegend somit ohne Bedeutung. Der Senat neigt allerdings dazu, diese Auffassung aufzugeben und die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen Entscheidungen über die Beiordnung unabhängig vom Verfahrensstand zu bejahen.
2.
Die Beschwerde hatte in der Sache indes keinen Erfolg. Die vom Senat vorzunehmende Überprüfung beschränkte sich dabei darauf, ob die Vorsitzende die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums eingehalten hatte und die von ihr getroffene Auswahl ermessensfehlerfrei erfolgt ist. Das Beschwerdegericht ist hingegen nicht zu einer eigenen Ermessensausübung befugt (vgl. KK-Laufhütte a. a. O. Meyer-Goßner a. a. O.). Dies zugrunde gelegt, ist die Entscheidung der Vorsitzenden, zur Sicherung der Hauptverhandlung neben dem Wahlverteidiger zwei Pflichtverteidiger beizuordnen, rechts und ermessensfehlerfrei. Zwar erfordert allein der Umstand, dass auf der Anklageseite zwei Staatsanwälte auftreten, nicht die Bestellung zweier Pflichtverteidiger (vgl. OLG Frankfurt a. a. O.). Vorliegend sind aber so viele das Verfahren in Umfang und Schwierigkeit als erheblich erscheinen lassende Umstände gegeben, dass die Annahme eines unabweisbaren Bedürfnisses für die Beiordnung mehrerer Pflichtverteidiger vertretbar ist. Die 120 Seiten umfassende Anklage wirft dem Angeklagten zehn Taten unterschiedlichster Delikttypen (sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Vergewaltigung, unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Strafvereitelung, Geheimnisverrat, Geldwäsche) vor, die auch zu einem Berufsverbot führen könnten. Daneben stehen Fragen zur Schuldfähigkeit und einer möglichen Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie zur Verwertbarkeit und Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen W. im Raum, die eine längere Dauer der Hauptverhandlung erwarten lassen. Dass der Angeklagte bereits einen Wahlverteidiger hat, stand der Be...