Leitsatz (amtlich)

1. Der Bauunternehmer kann vom Bauherren im Wege der einstweiligen Verfügung die Unterlassung der Inanspruchnahme eines Bürgen aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern verlangen, wenn sich aus den zugrunde liegenden Vertragsunterlagen ohne weiteres die Unwirksamkeit der der Bürgschaftsverpflichtung zugrunde liegenden Sicherungsabrede ergibt.

2. Ein Verfügungsgrund liegt jedoch nur dann vor, wenn dem Bauunternehmer im Falle eines Abwartens bis zur Hauptsacheentscheidung ein schwer wiegender Nachteil droht. Dies ist etwa der Fall, wenn die Geltendmachung eines Rückzahlungsanspruchs erkennbar ungesichert ist, z.B. wegen drohender Insolvenz des Bauherren oder dem Erfordernis einer Klage im Ausland. Dagegen genügt der bloße Umstand, dass der Bauherr ggü. dem Bürgen dessen Inanspruchnahme aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern ankündigt, i.d.R. nicht, um einen Verfügungsgrund annehmen zu können.

 

Normenkette

BGB § 812 Abs. 1 S. 1; AGBG § 9

 

Verfahrensgang

LG Stade (Aktenzeichen 6 O 153/02)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Beschwerdewert wird auf 5.500,77 Euro (= 10.758,57 DM) festgesetzt.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Die Antragstellerin kann im Wege der einstweiligen Verfügung nicht die Anordnung verlangen, dass die Antragsgegnerin es zu unterlassen habe, die … Bank auf Zahlung aus der von dieser übernommenen Bürgschaft Nr. … vom 14.7.1995 über 32.275,71 DM in Anspruch zu nehmen. Zwar hat die Antragstellerin entgegen der Auffassung des LG einen Verfügungsanspruch schlüssig vorgetragen und glaubhaft gemacht (nachfolgend zu 1). Dagegen fehlt es an der schlüssigen Darlegung sowie Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes (nachfolgend zu 2).

1. Der Verfügungsanspruch der Antragstellerin gem. §§ 930, 940 ZPO ergibt sich daraus, dass der Antragsgegnerin kein Anspruch auf Auszahlung der Bürgschaft auf erstes Anfordern vom 14.7.1995 gegen die …-Bank zusteht, da es an einer wirksamen der Bürgschaftserteilung zugrundeliegenden Sicherungsabrede zwischen den Parteien fehlt, und durch die Inanspruchnahme der Bürgschaft seitens der Antragsgegnerin lediglich eine formale Rechtsstellung missbräuchlich ausgenutzt würde.

Zwar begründet die Bürgschaft eine von der Verpflichtung des Hauptvertrages verschiedene, rechtlich selbstständige Verpflichtung, die ihren Rechtsgrund in sich selbst trägt und daher grundsätzlich unabhängig vom Bestand der Hauptschuld ist (BGH v. 8.3.2001 – IX ZR 236/00, BGHReport 2001, 401 = MDR 2001, 1003 = NJW 2001, 1857). Bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern muss der Bürge darüber hinaus auf die Anforderung grundsätzlich sofort zahlen. Einwendungen können in der Regel erst im Rückforderungsprozess geltend gemacht werden (BGH v. 5.6.1997 – VII ZR 324/95, BGHZ 136, 27 [32] = MDR 1997, 929; v. 8.3.2001 – IX ZR 236/00, BGHReport 2001, 401 = MDR 2001, 1003 = NJW 2001, 1857). Ausnahmen gelten jedoch dann und sind schon im Erstprozess zu beachten, wenn sich die Berechtigung der Einwendungen aus dem unstreitigen Sachverhalt oder dem Inhalt der Vertragsurkunden ohne weiteres ergibt (BGH v. 8.3.2001 – IX ZR 236/00, BGHReport 2001, 401 = MDR 2001, 1003 = NJW 2001, 1857; OLG Zweibrücken v. 20.9.1994 – 8 U 214/93, BauR 1995, 251 [252]). In diesen Fällen missbraucht der Gläubiger, der sich gleichwohl auf die ihm durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern eingeräumte formale Stellung beruft, seine vertraglichen Befugnisse. Ein derartiger Ausnahmetatbestand ist insb.dann gegeben, wenn der Bürgschaftsvertrag nur der Erfüllung der Sicherungsabrede dient, die der Gläubiger mit dem Hauptschuldner getroffen hat, sich aus dieser jedoch kein Anspruch auf Erhalt einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ergibt (BGH v. 8.3.2001 – IX ZR 236/00, BGHReport 2001, 401 = MDR 2001, 1003 = NJW 2001, 1857; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 7. Teil Rz. 42 f.; 10. Teil Rz. 3).

Ist hiernach offensichtlich oder zumindest für jedermann beweisbar, dass trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen der Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist, kann nicht nur der Bürge die Leistung verweigern. Vielmehr kann auch der Hauptschuldner im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens verlangen, dem Gläubiger die Inanspruchnahme des Bürgen zu untersagen (OLG Köln, BauR 1998, 555 [558]; KG v. 10.12.1996 – 15 U 726/96, BauR 1997, 665 [666]; OLG München v. 20.6.1995 – 13 U 5787/94, OLGReport München 1995, 182 = NJW-RR 1996, 534 [535]; Koeble/Kniffka, 10. Teil Rz. 2 – 4). Dies gilt auch dann, wenn der Hauptschuldner sich in dem einstweiligen Verfügungsverfahren darauf beruft, die von ihm gewährte Bürgschaft sei ohne wirksame zugrundeliegende Sicherungsabrede gewährt worden (KG, OLG München v. 20.6.1995 – 13 U 5787/94, OLGReport München 1995, 182 = NJW-RR 1996, 534 [535], Kniffka/Koeble, 10. Teil Rz. 9, 13).

Hier ergibt sich aus den vorgelegten Vertragsunterlagen, dass die Antragsgegnerin keinen Anspruch auf Auszahlung der Bürgschaft auf erstes ...

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