Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweisverwertungsverbot bei freiwilliger Mitwirkung an neurologisch-physiologischen Tests im Rahmen einer Verkehrskontrolle zur Feststellung der Fahruntüchtigkeit infolge von Cannabiskonsum
Leitsatz (amtlich)
Wird ein Beschuldigter im Rahmen einer Verkehrskontrolle angehalten, ohne dass zuvor ein Fahrfehler festgestellt werden konnte, so begründet eine freiwillige Mitwirkung an neurologisch-physiologischen Test zur Überprüfung seiner Fahrtüchtigkeit in der Annahme, sich auf diese Weise sowohl be- als auch entlasten zu können, jedenfalls dann keine verbotene Einflussnahme auf den Willen im Sinne des § 136a Abs. 1 StPO, wenn anhand der gesamten Fallumstände die Möglichkeit der Abstandnahme von einem Ordnungswidrigkeitenverfahren bestand.
Normenkette
StPO § 136a Abs. 1, § 265 Abs. 1; StGB § 316; StVG § 24a Abs. 2
Verfahrensgang
LG Bückeburg (Entscheidung vom 22.08.2017) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg vom 22. August 2017 mit den Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum objektiven Tatgeschehen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bückeburg zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bückeburg - Strafrichterin - hatte den Angeklagten am 21. Dezember 2016 wegen fahrlässigen Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts Bückeburg mit Urteil vom 22. August 2017 den Angeklagten unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 35,- EUR verurteilt.
Hiergegen wendet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und beantragt, das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bückeburg zurückzuverweisen.
Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.
II.
1. Die vom Angeklagten zulässig erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 1 StPO ist begründet.
Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
a) Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Bückeburg vom 23. Juni 2016 ist dem Angeklagten eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr infolge Genusses berauschender Mittel (Cannabinoide) gemäß § 316 Abs. 2 StGB zur Last gelegt worden. Nach Einspruch des Angeklagten hat das Amtsgericht mit Urteil vom 21. Dezember 2016 den Angeklagten sodann wegen einer Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel nach § 24a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 StVG verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft erfolgte mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 2 StGB. Im Berufungsverfahren ist der Angeklagte hingegen wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden, ohne dass sich im Hauptverhandlungsprotokoll, dem insoweit gemäß § 274 StPO negative Beweiskraft zukommt, ein rechtlicher Hinweis dahingehend findet, dass das Gericht eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehung in Erwägung ziehe. Auch ein Hinweis außerhalb der Hauptverhandlung (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt StPO, 60. Auflage 2017, § 265 Rn. 32; Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 265, Rn. 58) ist nicht erfolgt. Aus dem angefochtenen Urteil ergeben sich darüber hinaus auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes nach dem Gang des Verfahrens auf andere Weise bekannt gewesen sein könnte.
b) Diese Verfahrensweise verletzt § 265 Abs. 1 StPO. Will das Gericht im Urteil von der mit Anklage und Eröffnungsbeschluss angenommenen Schuldform abweichen, so muss es den Angeklagten gemäß § 265 Abs. 1 StPO zuvor darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, seine Verteidigung darauf einzurichten (vgl. Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 265, Rn. 29; Meyer-Goßner/Schmitt aaO. § 265 Rn. 11; BGH VRS 49 (1975) 184).
Es ist auch nicht auszuschließen, dass der Angeklagte sich auf den entsprechenden Hinweis hin hier anders und wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Denn das Beruhen des Urteils auf einer Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO kann nur ausnahmsweise verneint werden, wenn unter Beachtung der für das Revisionsgericht gebotenen Zurückhaltung zweifelsfrei festgestellt werden kann, dass der Angeklagte sich bei rechtzeitigem Hinweis nicht anders und erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können (vgl. BGH NStZ 1995, 247, beck-online; KK-StPO/Kuckein StPO § 265 Rn. 32-33, beck-online).
Ein...