Leitsatz (amtlich)
1. Auf das Akteneinsichtsgesuch eines Insolvenzgläubigers ist § 299 ZPO entsprechend anzuwenden, weil die Insolvenzordnung keine eigene Vorschrift enthält, die das Recht auf Einsicht in Insolvenzakten regelt.
2. Die Entscheidung des Insolvenzgerichts, dem Antrag auf Übersendung von Abschriften des im Eröffnungsverfahren erstatteten Gutachtens könne grundsätzlich nicht entsprochen werden, weil im Fall des § 299 Abs. 2 ZPO ausschließlich die Gewährung von Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts in Betracht komme, ist ermessensfehlerhaft und kann im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG keinen Bestand haben.
Normenkette
InsO § 4; ZPO § 299; EGGVG § 23
Verfahrensgang
AG Hannover (Beschluss vom 04.08.2006; Aktenzeichen 906 IN 1166/05-6) |
Tenor
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Beschluss des AG Hannover vom 4.8.2006 ist zulässig; der Beschluss des AG Hannover vom 4.8.2006 wird aufgehoben.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Wert des Beschwerdeverfahrens: 750 EUR.
Gründe
I. Die Antragstellerin hat durch Vorlage eines Versäumnisurteils glaubhaft gemacht, Gläubigerin der .... Projekt GmbH zu sein, deren Geschäftsführer am 9.12.2005 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt hat. In dem Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Baugesellschaft hat das Insolvenzgericht u.a. ein Sachverständigengutachten zur Klärung der Frage, ob eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden ist, in Auftrag gegeben. Nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige am 3.3.2006 dem Insolvenzgericht sein Gutachten übersandt hatte, hat das Gericht mit Beschluss vom 24.3.2006 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt.
Auf den Antrag der Gläubigerin vom 19.5.2006, ihr Auskunft darüber zu erteilen, ob das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und eine Kopie des Gutachtens des Sachverständigen zu übersenden, hat das Insolvenzgericht der Gläubigerin mit Verfügung vom 26.5.2006, die Übersendung einer Kopie des Gutachtens versagt. Hierauf hat die Gläubigerin mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom
2.6.2006 erneut den Antrag gestellt, ihr eine Kopie des Gutachtens des Sachverständigen zu übersenden und "Beschwerde" gegen die Verfügung vom 26.5.2005 eingelegt. Auch auf diesen Antrag hat das Insolvenzgericht der Beschwerde nicht abgeholfen, weil das beantragte Recht nicht bestehe, und die Sache am 9.6.2006 dem LG Hannover - Beschwerdekammer - vorgelegt. Diese Vorlageverfügung has LG Hannover mit Beschluss vom 11.7.2006 unter Verweis auf die in ZIP 2004, 370 veröffentlichte Entscheidung des OLG Celle, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückgegeben, weil es sich bei der Antragstellerin um einen Dritten i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO handele, so dass über ihr Rechtsmittel nicht im Beschwerdeverfahren nach der ZPO, sondern im Verwaltungsverfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG zu entscheiden sei.
Nach Rückgabe der Sache hat das AG Hannover - Insolvenzgericht - am 4.8.2006 erneut entschieden, dass der Beschwerde der Antragstellerin nicht abgeholfen und die Sache dem OLG Celle gem. §§ 23 ff. EGGVG zur Entscheidung vorgelegt werde. werde. Zur Begründung dieser Entscheidung hat es - nach der Äußerung von Zweifeln an der Anwendbarkeit des § 299 Abs. 2 ZPO - ausgeführt, gem. § 299 Abs. 2 ZPO hätten Dritte im Rahmen des richterlichen Ermessens lediglich die Möglichkeit, Akteneinsicht zu erhalten. Ein Recht auf Fertigung von Abschriften, Abschriften und Auszügen stehe nur den Parteien - d.h. im eröffneten Insolvenzverfahren den Insolvenzgläubigern - zu. Diese Stellung habe die Gläubigerin nicht, wenn man sie als "Dritte" i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO ansehe. Ihr sei deshalb nur die Möglichkeit eröffnet, die Akten einzusehen. Einen Anspruch auf Fertigung und Übersendung von Kopien habe sie - auch im Wege der Ermessensentscheidung des Gerichts - nicht.
II. Die als Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu behandelnde Beschwerde ist zulässig. Die Entscheidung des AG Hannover, dem Gläubiger keine Abschriften aus den Insolvenzakten zu erteilten, ist, da es sich um einen Fall des § 299 Abs. 2 ZPO handelt, nach den §§ 23 ff. EGGVG anfechtbar (s. auch BGH, ZIP 2006, 1154 = ZInsO 2006, 597; OLG Brandenburg, ZInsO 2002, 1085 = ZIP 2002, 2320; OLG Brandenburg, NZI 2002, 49 = InVo 2002, 20; OLG Celle, ZInsO 2002, 73 = ZIP 2002, 446; OLG Dresden, ZIP 2003, 39; OLG Dresden, ZInsO 2003, 1148; OLG Hamburg, ZInsO 2002, 36 = ZIP 2002, 266 = NJWRR 2002, 408; OLG Jena, ZVI 2002, 318;OLG Stuttgart, ZVI 2002, 459). Die Entscheidung ist zwar durch den Abteilungsrichter erlassen worden, nach dem Inhalt des Beschlusses dürfte die Befugnis zur Entscheidung aber durch den Vorstand des Gerichts auf diesen delegiert worden sein. Die für die Antragstellung einzuhaltende Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG wurde gewahrt. Sofern in dem Beschluss vom 4.8.2006 Zweifel a...