Leitsatz (amtlich)
Ein Geschädigter kann bei Beschädigung eines Lkw-Anhängers (hier: Sattelauflieger) ein besonderes Interesse am Erhalt und damit an der Reparatur des Anhängers haben (Integritätsinteresse); Reparaturkosten bis zum 1,3-fachen des Wiederbeschaffungswerts sind in diesem Fall erstattungsfähig.
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 09.07.2009; Aktenzeichen 8 O 89/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des LG Hannover vom 9.7.2009 abgeändert und insgesamt neu gefasst wie folgt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.424,69 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.3.2009 sowie weitere 459,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.5.2009 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
(gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO):
Die Berufung ist begründet.
I. Die Parteien streiten darum, ob der Kläger von der Beklagten Schadensersatz für seinen bei einem Verkehrsunfall verunfallten Sattelzug - im Streit steht nur der Anhänger (Sattelauflieger) - verlangen kann. Der Kläger hat den Schaden insgesamt reparieren lassen und nutzt auch den Anhänger weiter. Die Beklagte hat den Schaden an der Zugmaschine vollständig beglichen. Auf den Schaden am Sattelauflieger zahlte sie jedoch nur den sachverständig ermittelten Wiederbeschaffungsaufwand (d.h. unter Abzug des Restwerts). Die Differenz zu den tatsächlichen Reparaturkosten ist die Klageforderung (zzgl. außergerichtlicher Kosten der Rechtsverfolgung).
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Reparatur sei wirtschaftlich unsinnig gewesen. Ein besonderes Integritätsinteresse stehe dem Kläger nicht zu. Der Sattelauflieger sei nicht mit einem Kfz vergleichbar.
II. Die Erwägungen des LG halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Nach der Rechtsprechung des BGH ist in Fällen wie dem vorliegenden bei der Berechnung des zuzubilligenden Schadensersatzes kein Abzug des verbliebenen Restwertes vorzunehmen. Ausgangspunkt der Berechnung des zu ersetzenden Schadens ist nicht der Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert), sondern allein der Wiederbeschaffungswert. Dies beruht auf folgenden Grundsätzen (s. BGH, Urt. v. 29.4.2003
- VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395 = VersR 2003, 918, juris-Rz. 7 f. m.w.N.):
Nach § 249 Abs. 1 BGB hat, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Für die Berechnung von Kraftfahrzeugschäden - was nicht minder für Anhänger bzw. Sattelauflieger gilt - stehen dem Geschädigten im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs. Dabei ist der Geschädigte nach dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes Herr des Restitutionsgeschehens. Er bleibt es auch in dem Spannungsverhältnis, das durch den Interessengegensatz zwischen ihm und dem Schädiger bzw. dessen Versicherer besteht. Diese Stellung findet Ausdruck in der sich aus § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebenden Ersetzungsbefugnis und der freien Wahl der Mittel zur Schadensbehebung.
Der Geschädigte ist aufgrund der nach anerkannten schadensrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositionsfreiheit auch in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich beanspruchen kann. Er ist weder dazu verpflichtet, sein Fahrzeug (bzw. den Anhänger) zu reparieren noch es zur Reparatur in eine Kundendienstwerkstatt zu geben, deren Preise in der Regel Grundlage der Kostenschätzung sind. Es bleibt ihm überlassen, auf welche Weise er sein Fahrzeug wieder instandsetzt. Verursacht allerdings bei mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt. Nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Herstellung erforderlich. Der zu gewährende Schadensausgleich wird außerdem begrenzt durch das schadensrechtliche Bereicherungsverbot, das besagt, dass der Geschädigte zwar vollen Ersatz verlangen kann, an dem Schadensfall aber nicht "verdienen" soll. Diese schadensrechtlichen Grundsätze lassen sich nicht isoliert verwirklichen. Sie stehen vielmehr zueinander in einer Wechselbeziehung. Demzufolge darf in Verfolgung des Wirtschaftlichkeitspostulates das Integritätsinteresse des Geschädigten, das aufgrund der gesetzlich gebotenen Naturalrestitution Vorrang genießt, nicht verkürzt werden. Die Schadensrestitution darf nicht beschränkt werden auf die kostengünstigste Wiederherstellung der beschädigten Sa...