Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksamkeit der Sicherungsabrede im Generalunternehmervertrag nach § 307 Abs. 1 BGB (AGB-Inhaltskontrolle)
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Vertragsklausel im Generalunternehmervertrag, wonach nur insgesamt 90 % des vereinbarten Werklohns im Laufe des Bauvorhabens bis zu dessen Fertigstellung durch Abschlagszahlungen zu leisen ist, restliche 10 % dagegen erst nach erfolgreichem Wirkprinzip-Test, Abnahme des Werks und Vorlage der Gewährleistungsbürgschaft, kann in der Gesamtschau eine gegen § 307 Abs. 1 BGB verstoßende Übersicherung des Auftraggebers darstellen, wenn dieser zusätzlich durch eine vom Werkunternehmer gestellte Vertragserfüllungsbürgschaft abgesichert ist. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn nach den Vertragsklauseln noch weitere Belastungen des Werkunternehmers, wie die Überdeckung von Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft, hinzukommen.
2. Die Inhaltskontrolle hat in der Gesamtschau abstrakt und ohne Rücksicht darauf zu erfolgen, ob der Bürgschaftsnehmer auf Rechte aus einzelnen Klauseln verzichtet. Auch können nicht einzelne Klauseln als unwirksam kassiert werden, um den verbleibenden Klauseln damit zur Wirksamkeit zu verhelfen. Denn es ist nicht die Sache des Gerichts auszusuchen, welche der betroffenen Klauseln bestehen bleiben soll.
3. Auf die aus § 307 Abs. 1 BGB folgende Unwirksamkeit einer Klausel kann sich der Bürge gegenüber dem Bürgschaftsnehmer gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB berufen, so dass er nicht aus der Bürgschaft leisten muss (BGH NJW 2011, 2125, Rz. 11). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn es sich bei dem Bürgen um ein Kreditinstitut handelt und dieses bei Übernahme der Vertragserfüllungsbürgschaft keine rechtlichen Bedenken gegen die Sicherungsabrede erhoben hat.
4. Im Baurecht ist allgemein anerkannt, dass § 8 Abs. 2 VOB/B auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens anwendbar ist und nicht gegen § 119 InsO verstößt. Daran hat sich durch das Urteil des BGH vom 15.11.2012 (IX ZR 169/11) zu Energielieferungsverträgen nichts geändert.
5. Macht der Auftragnehmer von seinem Kündigungsrecht wegen Insolvenz des Auftragnehmers nach § 8 Abs. 2 VOB/B Gebrauch, ist dieser berechtigt, den vom Auftragnehmer geltend gemachten Ansprüchen seine eigenen Ansprüche, die er im Falle der außerordentlichen Kündigung wegen Nichtstellung der nach § 648a BGB verlangten Sicherheit gehabt hätte, auch ohne Kündigung entgegen zu setzen, so dass die wechselseitigen Ansprüche dann zu saldieren sind. Es gibt insoweit keinen "Wettlauf der Kündigungen".
Normenkette
BGB § 768 Abs. 1 S. 1, § 307 Abs. 1; VOB/B § 8 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Urteil vom 28.05.2013; Aktenzeichen 10 O 72/12) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 10. Zivilkammer - 1. Kammer für Handelssachen - des LG Hildesheim vom 28.5.2013 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die außergerichtlichen Kosten des Streithelfers trägt die Klägerin.
3. Das angefochtene landgerichtliche Urteil sowie das vorliegende Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Nach gescheitertem Bauvertrag nimmt die Klägerin die Beklagte aus der von dieser unter dem 15.7.2010 erteilten Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe des vereinbarten Höchstbetrags von 351.500 EUR in Anspruch.
Die Klägerin hatte die später in Insolvenz gefallene H. B. GmbH in S. (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) als Generalunternehmerin mit dem Neubau eines Alten- und Pflegeheims in W. zum Pauschalpreis von 3.515.000 EUR beauftragt. Hierauf bezieht sich der Generalunternehmervertrag (GU-Vertrag) vom 1.6.2010 (Anlage K 2). Nach § 15.1 des GU-Vertrages hatte sich die Insolvenzschuldnerin zur Übergabe einer Vertragserfüllungsbürgschaft i.H.v. 10 % der Nettoauftragssumme verpflichtet. Dieser Verpflichtung war die Insolvenzschuldnerin durch Übergabe der hier streitgegenständlichen, von der Beklagten übernommenen Vertragserfüllungsbürgschaft über 351.500 EUR nachgekommen (Anlage K 1).
Die Insolvenzschuldnerin stellte im Laufe des Bauvorhabens zunächst neun Abschlagsrechnungen über insgesamt 1.756.797 EUR brutto, die von der Klägerin im Wesentlichen beglichen wurden; allerdings hat die Klägerin gegenüber der 9. Abschlagsrechnung verschiedene Einbehalte geltend gemacht. Unter dem 4.2.2011 erstellte die Insolvenzschuldnerin ferner eine - nach dem Zahlungsplan nicht vorgesehene, nunmehr an § 632a I BGB orientierte - 10. Abschlagsrechnung über 708.614,58 EUR netto und verlangte zugleich eine Sicherheitsleistung nach § 648a Abs. 1 BGB von der Klägerin. Wegen der sachlichen Richtigkeit und Fälligkeit der 10. Abschlagsrechnung unter Berücksichtigung des Bautenstandes kam es zum Streit zwischen den Vertragsparteien. Die Klägerin leistete auf die 10. Abschlagsre...