Leitsatz (amtlich)
Ein Kapitalanleger handelt nicht grob fahrlässig i.S.v. § 199 Abs. 1 BGB, wenn er einen Prospekt, der erst im abschließenden Beratungsgespräch übergeben wird, nicht darauf hin durchsieht, ob die mündlichen Angaben des Anlageberaters oder -vermittlers zutreffen.
Etwas anderes gilt, wenn der Prospekt ausreichende Zeit vor dem abschließenden Beratungsgespräch dem Anleger zur Verfügung steht.
Normenkette
BGB §§ 199 ff.
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 06.03.2008; Aktenzeichen 8 O 176/07) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 6.3.2008 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Hannover wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die im Berufungsverfahren entstandenen Kosten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das landgerichtliche Urteil trifft im Ergebnis zu. Etwaige Ansprüche des Klägers sind jedenfalls verjährt.
1. Von der Rechtsprechung des Senats nicht gedeckt ist allerdings die Ansicht des LG, dass der Kläger und seine Ehefrau bereits dann grob fahrlässig i.S.v. § 199 Abs. 1 BGB gehandelt hätten, wenn ihnen der Prospekt am Tage der Zeichnung der Anlage im Zusammenhang mit dem Beratungsgespräch übergeben worden wäre und sie daraufhin nicht später die Angaben des Beraters anhand des Prospektes überprüft hätten. Nach der Rechtsprechung des BGH, von der abzuweichen der Senat keinerlei Veranlassung hat, kann es zwar als Mittel der Aufklärung für einen Anlageinteressenten ausreichend sein, wenn statt einer mündlichen Aufklärung im Rahmen eines Vertragsanbahnungsgespräches ein Prospekt über die Kapitalanlage überreicht wird. In diesem Fall muss der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet sein, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln. Weitere Voraussetzung ist, dass der Prospekt dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor dem Vertragsschluss überlassen worden ist, dass der Inhalt des Prospektes von dem Interessenten noch zur Kenntnis genommen werden konnte (BGH, Urt. v. 21.3.2005 - II ZR 140/03 m.w.N.).
a) Im vorliegenden Fall umfasst der Prospekt für den Falk-Fonds 75 mehr als 120 Seiten. Es ist ausgeschlossen, dass ein Anlageinteressent im Laufe eines Beratungsgespräches von dem Inhalt eines derartigen Prospektes Kenntnis nehmen kann. Daher handelt ein Anleger weder fahrlässig noch grob fahrlässig, wenn er einen derartigen Prospekt, den er erst im Beratungsgespräch erhält, nicht zur Kenntnis nimmt.
b) Mit der Abgabe der Beitrittserklärung des Klägers und seiner Ehefrau war die Anlageberatung durch die Handelsvertreterin der Beklagten abgeschlossen. Der Kläger und seine Ehefrau waren weder verpflichtet noch traf sie die Obliegenheit, die behaupteten mündlichen Angaben der Handelsvertreterin der Beklagten anhand des Prospektes zu überprüfen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Umstand, dass ein Beteiligungsprospekt Chancen und Risiken der Kapitalanlage hinreichend verdeutlicht, kein Freibrief für den Vermittler ist, Risiken abweichend davon darzustellen und mit seinen Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt entwertet oder für die Entscheidungsbildung des Anlegers mindert (BGH NJW-RR 2007, 1690; Senat Beschl. v. 7.9.2007 - 11 U 135/07).
2. Etwas anders gilt allerdings, wenn ein Anleger den Prospekt in ausreichender Zeit vor dem abschließenden qualifizierten Beratungsgespräch erhält. Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Anleger nämlich gehalten, einen - ausreichende Zeit vor dem Beratungsgespräch - erhaltenen Prospekt zur Kenntnis zu nehmen. Macht der Anlageberater oder -vermittler dann in dem Beratungsgespräch Angaben, die in nicht unerheblicher Weise von dem Inhalt des Prospektes abweichen, so handelt der Anleger grob fahrlässig i.S.v. § 199 Abs. 1 BGB, wenn er sich dann nicht um Aufklärung der Unterschiede zwischen dem Emissionsprospekt und den mündlichen Angaben des Anlageberaters bemüht. Dies folgt aus dem Grundsatz, dass grobe Fahrlässigkeit im Sinne der Verjährungsvorschriften vorliegt, wenn ein Anspruchsteller, obwohl er sich Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen kann, sich der Kenntnis missbräuchlich verschließt oder auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten nicht nutzt (Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., § 199 Rz. 36 f. m.w.N.).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger behauptet, dass die Handelsvertreterin der Beklagten nicht ausreichend über die Risiken, die mit der Anlage verbunden waren, aufgeklärt habe. Sie habe Ausschüttungen i.H.v. 7 % p. a. garantiert und die Anlage als besonders sicher dargestellt. Die Handelsvertreterin habe den Kläger und seine Ehefrau auch nicht darauf hingewiesen, dass es sich bei der Beteiligung um eine unternehmerische Beteiligung gehandelt habe.
In dem Prospekt des Falk-Fonds 75 sind alle Risiken deutlich beschrieben. So ist bereits auf S. 1 des Prospektes darauf hingewiesen worden, dass es sich bei der Anlage um eine Beteiligung an einem geschlossenen Immo...