Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur ernsthaften Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers einer Stromrechnung bei einer erheblichen Abweichung der für unterschiedliche Zeitabschnitte abgerechneten Verbräuche
Leitsatz (amtlich)
Die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers der Abrechnung kann sich nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV aus einer enormen und nicht plausibel erklärbaren Abweichung der Verbrauchswerte von denen u.a. einer nachfolgenden Abrechnungsperiode ergeben.
Auch wenn ein offensichtlicher Fehler ernsthaft möglich ist, ist der von den nach § 17 Abs. 1 Satz 2 StromGVV berücksichtigungsfähigen Einwendungen nicht erfasste Sockelbetrag der Abrechnung zur Zahlung fällig.
Insbesondere steht die Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 2 StromGVV der Möglichkeit nicht entgegen, einen Mindestverbrauch nach § 287 ZPO zu schätzen, der von der ernsthaften Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers der Rechnung nicht berührt ist.
Normenkette
StromGVV § 17 Abs. 1 S. 2; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Bückeburg (Urteil vom 04.12.2014; Aktenzeichen 1 O 131/13) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 4.12.2014 verkündete Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des LG Bückeburg teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 48.311,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 3.2.2013 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 79 % und die Beklagte zu 21 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen,
eine über den Betrag von 11.243,76 EUR nebst zugehöriger Zinsen hinausgehende Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des weiter gehenden für die Klägerin aufgrund dieses Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des den vorgenannten Betrag übersteigenden zu vollstreckenden Betrages leistet. Der Klägerin bleibt nachgelassen, eine Vollstreckung durch die Beklagte in Höhe von 110 % des für die Beklagte aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht diese zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 226.325,99 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin belieferte die Beklagte vom 1.8.2010 bis zum 31.10.2012 mit Strom. Sie nimmt die Beklagte auf der Grundlage ihrer Rechnung vom 18.1.2013 auf Zahlung einer Vergütung für insgesamt 1.195.190 kWh Strom in Anspruch. Dabei entfällt nach dieser Rechnung ein Verbrauch in Höhe von 1.082.491 kWh auf die Zeit vom 1.8.2010 bis zu einem Zählerwechsel am 16.1.2012 und von 112.699 kWh auf die Folgezeit. Zuvor war die Klägerin seit dem 1.4.2004 von einem anderen Stromversorgungsunternehmen beliefert worden. In dem Zeitraum vom 1.4.2004 bis zu dem vorgenannten Zählerwechsel am 16.1.2012 hat die Beklagte nach den zu Beginn und zum Ende des Zeitraums abgelesenen Zählerständen insgesamt rund 1.221.692 kWh Strom (Differenz der Zählerstände: 30.542,30 × Wandlerfaktor 40) verbraucht. Wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der darin gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die erheblichen Unterschiede des Verbrauchs vor und nach dem Zählerwechsel begründeten die ernsthafte Möglichkeit einer offensichtlichen Unrichtigkeit der Rechnung, sodass diesbezügliche Einwendungen der Beklagten nicht nach § 17 Abs. 1 Satz 2 StromGVV ausgeschlossen seien. Die Klägerin habe für eine ordnungsgemäße Verbrauchsermittlung keinen Beweis angetreten.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Klageanträge unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Sie tritt nunmehr Beweis für die Richtigkeit der Verbrauchsermittlung an.
Sie beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 226.325,99 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.2.2013 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Klageforderung in Höhe eines Betrages von 11.243,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 3.2.2013 anerkannt und beantragt im Übrigen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil, soweit sie die Klageforderung nicht anerkannt hat, und ist im Übrigen der Auffassung, dass die Schätzung eines Mindestverbrauches nicht in Betracht komme.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung ist nur zu einem geringen Teil, nämlich in Höhe eines Betrages von 48.311,82 EUR nebst Zinsen begründet. Hiervon hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 12.6.2015 einen Teilbetrag in Höhe von 11.243,76 EUR nebst Zinsen anerkannt, so dass insoweit ein Teil-Anerkenntnisurteil zu erlassen war.
Wegen diese...