Leitsatz (amtlich)

1. Auch ggü. Kindern gilt der Vertrauensgrundsatz. Nur dann, wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigen, die zu Gefährdungen führen können, ist vom Kraftfahrer zu verlangen, dass er besondere Vorkehrungen (z.B. Verringerung der Geschwindigkeit, Bremsbereitschaft) zur Abwendung der Gefahr trifft. Dieser Fall liegt deshalb nicht bereits dann vor, wenn ein Kind auf einem neben der Straße verlaufenden Radweg entgegenkommt.

Anders verhält es sich, wenn ein 5 Jahre altes Kind auf einem Kinderfahrrad – wie hier – von links kommend über eine Ausfahrt in einem Zug auf die Straße fährt. In diesem Fall besteht eine Reaktionsaufforderung bereits in dem Moment, in dem das Kind sichtbar wird.

2. Der höhere Zinssatz des § 288 Abs. 1 BGB gilt nicht für Geldforderungen, die am 1.5.2000 bereits fällig waren. Dies gilt auch für die nachfolgende Rechtshängigkeit.

 

Normenkette

BGB §§ 288, 823

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Aktenzeichen 7 O 233/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 28.11.2000 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des LG Verden wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung des Klägers wird unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle zukünftigen materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 25.9.1999 in H. zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind, sowie alle ihm aus diesem Unfall zukünftig noch entstehenden immateriellen Schäden, soweit diese derzeit noch nicht hinreichend sicher vorhersehbar sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Wert der Beschwer für die Beklagten beträgt 266.954,24 Euro (= 522.117,12 DM).

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger macht mit der Klage ggü. den Beklagten materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 25.9.1999 gegen 11.45 Uhr ereignete.

An diesem Tage befuhr der Beklagte zu 2) mit seinem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Pkw Citroen Saxo die Gemeindestraße in H. aus Richtung des dort gelegenen Campingplatzes in Richtung E. Auf dieser Straße ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt. Die Straßenverhältnisse waren gut, die Fahrbahn war trocken.

Auf Höhe des aus Sicht des Beklagten zu 2) auf der linken Seite der Straße gelegenen Grundstücks E. Nr. 1 kam es auf der Fahrbahn zu einer Kollision zwischen dem seinerzeit gut 5 Jahre alten Kläger als Fahrer eines Kinderfahrrades und dem vom Beklagten zu 2) geführten Pkw. Dieses Fahrzeug wurde im Bereich des vorderen rechten Scheinwerfers und der rechten Seite der Motorhaube beschädigt, während das Fahrrad insb. im hinteren Bereich deformiert wurde. Der Kläger wurde durch den Zusammenstoß ca. 9 bis 10 m durch die Luft über den wiederum aus Sicht des Beklagten zu 2) gesehen rechts der Straße verlaufenden ca. 1,60 m breiten kombinierten Fuß- und Radweg, der durch einen ca. 0,90 m breiten unbefestigten Streifen von der Fahrbahn getrennt ist, hinaus in den rechten Seitenbereich der Straße geschleudert.

Durch diesen Unfall erlitt der Kläger neben zahlreichen weiteren Verletzungen, deretwegen auf die ärztliche Bescheinigung des Zentralkrankenhauses S. in B. vom 13.12.1999 (Bl. 13) Bezug genommen wird, insb. ein schweres Schädelhirntrauma mit offener Keilbeinfraktur rechts. Er kann weder sprechen noch laufen und leidet unter einer spastischen linksseitigen Lähmung. Vom 25.9. bis zum 16.10.1999 lag der Kläger im Koma. Am 8.12.1999 wurde er vom Zentralkrankenhaus S. in B. in die Rehabilitationseinrichtung F., ebenfalls in B., verlegt. Dort befand er sich bis zum 29.9.2000.

Seit dem 2.10.2000 besucht der Kläger den Lebenshilfe-Kindergarten in H., in dem er gepflegt wird und therapiert werden soll.

In erster Instanz haben beide Parteien übereinstimmend vorgetragen, dass der Kläger mit seinem Fahrrad auf dem aus Sicht des Beklagten zu 2) betrachtet rechts der Straße verlaufenden Radweg dem Beklagten zu 2) entgegengekommen und auf Höhe des Grundstücks E. Nr. 1 aus seiner – des Klägers – Sicht nach rechts über den unbefestigten Streifen hinweg auf die Fahrbahn gefahren sei, wo es alsdann zu der Kollision mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 2) gekommen sei. Ausgehend von diesem Sachverhalt hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass die Beklagten für die Unfallfolgen hafteten, weil der Beklagte zu 2) beim Gewahrwerden seiner – des Klägers – Person nach § 3 Abs. 2a StVO verpflichtet gewesen wäre, seine Geschwindigkeit ganz erheblich z...

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