Leitsatz (amtlich)

Bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot vorliegt, ist im Jugendrecht auch die Sanktion aus einer Entscheidung zu berücksichtigen, die in erster Instanz gem. § 31 Abs. 2 S. 1 JGG einbezogen, von deren Einbeziehung jedoch in zweiter Instanz gem. § 31 Abs. 3 S. 1 JGG abgesehen worden ist.

§ 31 Abs. 3 S. 2 JGG gestattet zwar die Erklärung der Erledigung der Sanktion, nicht aber ihre Umwandlung in eine mildere Maßnahme.

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird - soweit es den Angeklagten betrifft - mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere große Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Jugendschöffengericht hatte den Angeklagten des gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall in zwei Fällen schuldig gesprochen und auf eine einheitliche Jugendstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten erkannt. Dabei hat es nach § 31 Abs. 2 JGG einbezogen - die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung durch das Urteil des Jugendschöffengerichts vom 8. Dezember 1998 (318 Ls 461 Js 55539/98) und - die Verurteilung zu 4 Wochen Dauerarrest durch das Jugendschöffengericht vom 29. Juni 1999 (318 Ls 450 Js 90796/99).

Auf die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat die Jugendkammer das Urteil dahin geändert, dass sie nur noch die Verurteilung vom 8. Dezember 1998 einbezogen, eine einheitliche Jugendstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten ausgeworfen und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt hat. Von der Einbeziehung der Verurteilung vom 29. Juni 1999 hat die Jugendkammer aus erzieherischen Gründen nach § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG abgesehen, jedoch zugleich den darin verhängten Dauerarrest von 4 Wochen in drei Freizeitarreste umgewandelt.

Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts; insbesondere wendet sie sich gegen die Nichteinbeziehung der Verurteilung vom 29. Juni 1999, die Umwandlung des Dauerarrestes in Freizeitarreste und die Verhängung von drei Freizeitarresten, die gegen § 16 Abs. 2 JGG verstoße.

II.

Die Revision, die nach ihrer oben genannten Begründung als zu Gunsten des Angeklagten eingelegt zu werten ist (vgl. BGHSt 2, 41, 43; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 296 Rn. 14), führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung - soweit sie den Angeklagten betrifft - und zur Zurückverweisung der Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere große Jugendkammer des Landgerichts.

Die Jugendkammer hat gegen das vom Senat von Amts wegen zu prüfende Verbot der Schlechterstellung des § 331 Abs. 1 StPO verstoßen. Diesem Verbot, das nach § 2 JGG auch im Jugendstrafrecht Anwendung findet (vgl. LR-Gollwitzer, StPO 24. Aufl. § 331 Rn. 49; Brunner/Dölling, JGG 10. Aufl. § 55 Rn. 21 - jeweils m. w. N. ), liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Angeklagte bei seiner Entscheidung darüber, ob er von einem Rechtsmittel Gebrauch machen soll, nicht durch die Besorgnis abgehalten werden darf, es könne ihm durch die Einlegung des Rechtsmittels ein Nachteil entstehen (BGHSt 7, 86;  25, 38, 40; Kleinknecht/Meyer-Goßner a. a. O. § 331 Rn. 1 m. w. N. ). Ein Verstoß gegen das Verbot liegt stets dann vor, wenn die Gesamtschau aller verhängten Ahndungsmaßnahmen eine dem alleinigen Berufungsführer nachteilige Veränderung erkennen lässt (BGHSt 24, 11;  29, 269, 270; NStZ 83, 168; Kleinknecht/Meyer-Goßner a. a. O. § 331 Rn. 12 m. w. N. ).

Vorliegend würde ein Nachteil für den Angeklagten, der allein Berufung eingelegt hatte, danach dadurch eintreten, dass er nach dem Urteil der Jugendkammer im Falle des Widerrufs der gewährten Aussetzung der Vollstreckung 18 Monate Jugendstrafe zusätzlich zu den jedenfalls zu vollstreckenden drei Freizeitarresten zu verbüßen hätte. Zwar erhielte er durch das Urteil der Jugendkammer die Gelegenheit, sich zu bewähren und nach Ablauf der Bewährungszeit die Jugendstrafe erlassen zu bekommen, müsste aber im Falle des Widerrufs einen längeren Freiheitsentzug hinnehmen. Denn die Rechtsfolge aus dem Urteil vom 29. Juni 1999, die die Jugendkammer aus der Entscheidung des Jugendschöffengerichts wieder ausgeschieden hat, ist bei der erforderlichen Gesamtschau, ob dem Angeklagten durch die Berufungsentscheidung ein Nachteil i. S. von § 331 Abs. 1 StPO erwachsen ist, zu berücksichtigen (Beschluss des hiesigen 1. Strafsenats vom 14. Oktober 1980 - 1 Ss 330/80 -; vgl. dazu auch BGHSt 12, 94; NStZ 1986, 423; Eisenberg, JGG 5. Aufl. § 55 Rn. 84).

Danach ist eine Änderung des erstinstanzlichen Urteils zum Nachteil des Angeklagten festzustellen. Denn auch die Ersetzung einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Strafe durch einen längeren Freiheitsentzug unter - völliger oder teilweiser - Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung widerspricht dem Zweck des § 331 StPO (BGH JR 1954, 227, 228; JZ 1956, 100 f; LR-Gol...

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