Leitsatz (amtlich)
1. Einem sechs bis siebenjährigen Kind muss ein gewisser Freiraum gelassen werden, um ihm eine eigenständige und selbständige Entwicklung zu ermöglichen, so dass in einem kurzen Besuch in der Nachbarschaft zum Spielen mit einem Nachbarskind auch ohne eine ständige Beaufsichtigung durch die Eltern keine Verletzung der Aufsichtspflicht gesehen werden kann.
2. Ist bei einem Kind ein Grenzfall zwischen einer normalen und einer leicht retardierten Entwicklung festzustellen, sind an die Aufsichtspflichten der Eltern keine überhöhten Anforderungen zu stellen.
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 28.06.2006; Aktenzeichen 6 O 81/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28.6.2006 verkündete Grundurteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des LG Hannover wie folgt geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund eines Brandschadens, den der zur Tatzeit acht Jahre alte Sohn Xxx der Beklagten am 24.4.2003 verursacht hat, als er in einer dem Kläger gehörenden Scheune beim Spielen ein Bündel Stroh mit einem Feuerzeug angesteckt und damit die Scheune in Brand gesetzt hat. Der Kläger begehrt den Ersatz eines Schadens i.H.v. insgesamt 68.195,89 EUR, der ihm gemäß seiner Darstellung verblieben ist, nachdem seine Feuerversicherung den Brandschaden im Übrigen reguliert hat.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der zur Tatzeit achtjährige Sohn X. der Beklagten, der an einer Chromosomenanomalie - Trisomie 8 - leide, sei in seiner Entwicklung erheblich verzögert gewesen; zur Tatzeit sei von einer etwa dreijährigen Entwicklungsverzögerung auszugehen. Der Sohn X. der Beklagten hätte deshalb einer besonderen Beaufsichtigung und Überwachung bedurft. Den entsprechenden Anforderungen seien die Beklagten nicht gerecht geworden. Sie hätten ihre Aufsichtspflicht gegenüber ihrem Sohn X. vernachlässigt und seien deshalb gem. § 832 BGB verpflichtet, dem Kläger den ihm entstandenen Sachschaden zu ersetzen, soweit er nicht von seiner Versicherung getragen worden ist.
Mit Grundurteil vom 28.6.2006, auf dessen Tatbestand zur Darstellung des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 336 f. d.A.) hat das LG nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über den Stand der Entwicklung des Kindes X. zum Zeitpunkt der Tat sowie Vernehmung der Tante C. und der Großmutter W. sowie des Großvaters G. des Sohnes ... der Beklagten und der Ehefrau des Klägers als Zeugen entschieden, dass die Beklagten dem Grunde nach für die bei dem Brand am 24.4.2003 eingetretenen Schäden gem. § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB haften, weil sie ihren Sohn X. nicht hinreichend beaufsichtigt und nicht genügend über die Gefahren des Umgangs mit Feuer aufgeklärt hätten.
Nach der vom Gericht durchgeführten Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass sich die erforderliche Aufsicht an der für ein sechs- bis siebenjährigen Kind erforderlichen Überwachung hätte orientieren müssen. Hieraus folge, dass die Beklagten zwar nicht verpflichtet gewesen seien, X. "auf Schritt und Tritt" zu überwachen. Sie hätten die Überwachung aber so gestalten müssen, dass eine gelegentliche Beobachtung erfolgt wäre. Dies sei nicht gewährleistet gewesen. Die Zeugin C. habe X. am an dem Tag, als es zu dem Brand gekommen sei, lediglich zum Eiswagen begleitet, für die weitere Überwachung habe sie sich nach eigenem Bekunden nicht verantwortlich gefühlt. Auch die Großmutter W. habe es nicht übernommen, X. während des Aufenthalts auf dem Hof des Klägers zu beaufsichtigen.
Es komme hinzu, dass X. nicht hinreichend über die Gefahren des Feuers aufgeklärt worden sei. Dies sei aus den Bekundungen der Großeltern zu entnehmen, nach denen das Kind lediglich einmal auf die Hitzentwicklung einer Herdplatte hingewiesen worden sei. Dies reiche nicht aus. Schwerwiegend sei, dass in der Silvesternacht 2003/2004 seitens der Zeugin P. beobachtet worden sei, wie X. gemeinsam mit seinem Bruder und seinem Vater Knallkörper geworfen und diese auch selbst angezündet habe. Vor diesem Hintergrund sei eine besonders sorgfältige und nachdrückliche Aufklärung des Kindes erforderlich gewesen.
Gegen dieses Grundurteil wenden sich die Beklagten mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der sie geltend machen, das LG habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, weil es die von ihnen angebotenen Beweise nicht erhoben habe. Außerdem habe es die festgestellten Tatsachen nicht zutreffend gewürdigt.
Auch wenn an die Beaufsichtigung und Belehrung eines Kindes im Hinblick auf die Gefahren eines Brandes strenge Anforderunge...