Leitsatz (amtlich)
§ 708 Nr. 7 ZPO ist im Wege richterlicher Rechtsfortbildung auch auf Pachtverhältnisse anzuwenden.
Normenkette
ZPO § 708 Nr. 7
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 13.03.2023; Aktenzeichen 17 O 236/20) |
Tenor
Auf den Antrag der Beklagten zu 1 im Schriftsatz vom 4. April 2023 wird das am 13. März 2023 Urteil des Einzelrichters der 17. Zivilkammer des Landgerichts Hannover in Bezug auf die vorläufige Vollstreckbarkeit teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Soweit es den ausgeurteilten Räumungsanspruch (Ziffer 3 des Tenors) betrifft, ist das Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung seitens der Beklagten zu 1 durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.570.800,- EUR abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in selber Höhe leistet.
Soweit es die Verurteilung zur Herausgabe des Inventars an die Dr. E. GmbH & Co. Anlage KG betrifft (Ziffer 4 des Tenors), ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 180.000,- EUR vorläufig vollstreckbar.
Im Übrigen ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der weitergehende Antrag der Beklagten zu 1 zurückgewiesen.
Gründe
I. Das Berufungsgericht kann gemäß § 718 Satz 1 ZPO auf Antrag eine Vorabentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit treffen, wobei die Entscheidung gemäß § 718 Abs. 1 Satz 2 ohne mündliche Verhandlung ergehen kann und durch Teilurteil erfolgt (siehe Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Auflage, § 718 Rn. 2). Eine Zustimmung zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren ist dabei nicht erforderlich (Zöller/Herget, ZPO, 34. Auflage, § 718 Rn. 3).
§ 718 Abs. 1 ZPO ist anwendbar, wenn das Urteil in der Hauptsache angegriffen wird und die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf einer fehlerhaften Anwendung der §§ 708, 709 und 711 Satz 1 ZPO beruht (siehe Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Auflage, § 718 Rn. 1a). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.
II. Die Entscheidung des Einzelrichters zur Vollstreckbarkeit ist teilweise unzutreffend.
Der Einzelrichter hat es verfahrensfehlerhaft unterlassen, sich in seinem Urteil mit der Frage nach der Anwendbarkeit von § 708 Nr. 7 ZPO auseinanderzusetzen.
Mit dem angefochtenen Urteil ist die Klägerin auf die Widerklage
- zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.170.566 EUR zuzüglich Zinsen (Tenor zu Ziffer 2.),
- zur Räumung und Herausgabe des in der Liegenschaft W. Straße 21 in H. betriebenen Hotels (Tenor zu Ziffer 3.) und
- zur Herausgabe von Inventar an die im Rechtsstreit nicht Beteiligte Dr. E. GmbH und Co. Anlagen KG (Tenor zu Ziffer 4.)
verurteilt worden.
Der Einzelrichter hat unreflektiert in Bezug auf alle drei Verurteilungen ausschließlich § 709 ZPO angewendet, obwohl sich schon beim Erlass des Urteils die Frage aufdrängte, ob nicht § 708 Nr. 7 ZPO in Bezug auf die Verurteilung zur Räumung eingreift. Der Einzelrichter hat hier eine verfahrensrechtlich gebotene Prüfung unterlassen und dadurch den Anspruch der Beklagten zu 1 auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf § 708 Nr. 7 ZPO auf vorläufig vollstreckbare Urteile in Pachtsachen nicht anzuwenden sei (Teilurteil vom 25. Juni 2008, Az.: 24 U 74/08, zitiert nach juris Rn. 12ff.; ebenso die Kommentarliteratur wie z.B. Lackmann, in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 708 Rn. 7; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, 81. Auflage, § 708 Rn. 10). Die gegen eine Anwendung von § 708 Nr. 7 ZPO vorgetragenen Argumente des Oberlandesgerichts Düsseldorf, die im Wesentlichen darin liegen, dass
- § 708 Nr. 7 ZPO eine eng auszulegende Ausnahmebestimmung darstelle,
- es an der für eine analoge Anwendung erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehle und
- Pachtsachen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch nicht unter die (außer Kraft getretene) Regelung in § 200 Abs. 2 Nr. 4 GVG (= § 227 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO) gefallen seien,
überzeugen den Senat allerdings nicht.
Vielmehr ist § 708 Nr. 7 ZPO jedenfalls im Wege richterlicher Rechtsfortbildung auch auf Pachtverhältnisse anzuwenden. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Gemäß § 601 des Entwurfes für eine Zivilprozessordnung waren alle Urteile der Amtsgerichte für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 601 Nr. 1 des Entwurfes). In der Begründung wurde hervorgehoben, dass die in § 601 geregelten Ausnahmefälle solche seien, in welche aufgrund des stattgehabten Verfahrens oder wegen des Gegenstandes des Rechtsstreits die Vollstreckbarkeit kraft Gesetzes regelmäßig ausgesprochen werden solle. Der wichtigste Fall sei der der Urteile der Amtsgerichte, weil die vor den Amtsgerichten verhandelten Rechtsstreitigkeiten in ihrer Mehrheit einfach genug seien, um eine richtige Entscheidung schon in 1. Instanz...