Entscheidungsstichwort (Thema)

Psychisch bedingte Folgeschäden einer HWS-Distorsion

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 07.09.2000; Aktenzeichen 14 O 172/97)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird – unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels – das am 7.9.2000 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 14. Zivilkammer des LG Hannover abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.274,84 Euro (10.316,69 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 13.10.1997 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche bereits entstandenen und noch entstehenden materiellen Schäden, soweit sie nicht von dem Leistungsantrag umfasst sind und soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden, sowie sämtliche zukünftigen immateriellen Schäden, soweit sie noch nicht sicher vorhersehbar sind, aus dem Verkehrsunfall vom 3.10.1994 zu ersetzen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 21 % und der Beklagte zu 79 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 8.345,14 Euro (16.321,68 DM), nämlich für den Zahlungsantrag 5.277,39 Euro (10.321,68 DM), für die Feststellung der materiellen Schadensersatzpflicht 2.556,46 Euro (5.000 DM) und für die Feststellung der immateriellen Schadensersatzpflicht 511,29 Euro (1.000 DM).

Von der Abfassung eines Tatbestandes wird gem. § 543 ZPO a.F. abgesehen.

 

Gründe

Die Berufung ist ganz überwiegend begründet.

I. Dem Kläger steht aus dem Verkehrsunfall vom 3.10.1994 ein Anspruch auf Zahlung von Verdienstausfall für die Zeit von Januar 1995 bis einschl. April 1996 i.H.v. 10.316,69 DM aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG zu.

1. Der Kläger hat bei dem Verkehrsunfall vom 3.10.1994 eine leichte HWS-Distorsion erlitten. Davon und damit vom Vorliegen der haftungsbegründenden Kausalität ist der Senat aufgrund des bereits in erster Instanz eingeholten medizinisch-technischen Gutachtens der Sachverständigen Dipl.-Ing. O. und Prof. Dr. P. vom 3.5.2000 (Bl. 395 ff. d.A.) i.S.v. § 286 ZPO überzeugt. Nach dieser Vorschrift ist keine absolute Gewissheit oder an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, sondern nur ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftige Zweifel ausschließt, erforderlich (BGH v. 28.1.2003 – VI ZR 139/02, MDR 2003, 566 = BGHReport 2003, 487 = VersR 2003, 474 [475] m.w.N.). Vernünftige Zweifel an der Kausalität zwischen dem Unfall und einer leichten HWS-Verletzung, die der nachbehandelnde Arzt Prof. Dr. K. – Chefarzt der Chirurgischen Klinik der H. – unter dem 20.10.1994 diagnostiziert hat (Bl. 14 d.A.), bestehen nicht. Die Richtigkeit des ärztlichen Befundes stellt auch der Beklagte nicht in Frage. Nach dem medizinisch-technischen Gutachten war der Unfall geeignet, diese HWS-Distorsion hervorzurufen, da es bei der Frontalkollision zu einer Geschwindigkeitsänderung zwischen 10 und 15 km/h kam (Bl. 16 u. 18 des Gutachtens; Bl. 410 u. 412 d.A.).

Dem Antrag des Beklagten, den Sachverständigen Prof. Dr. P. zu der Frage anzuhören, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad er im Gutachten vom 26.5.2003 einen Kausalzusammenhang zwischen dem Verkehrsunfall und der leichten HWS-Distorsion annimmt, ist nicht nachzugehen. Wenn der Sachverständige dort erklärt, eine unfallbedingte HWS-Distorsion sei aus medizinischer Sicht wahrscheinlich (Bl. 43), so reicht dies zum einen für den Vollbeweis der haftungsbegründenden Kausalität aus. Wie bereits erörtert, ist für die richterliche Überzeugungsbildung gem. § 286 ZPO ein besonders hoher Grad von Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich. Die Annahme, der als Gerichtsgutachter erfahrene Sachverständige Prof. Dr. P. habe den Begriff „wahrscheinlich” gewählt, aber weniger als wahrscheinlich gemeint, ist fern liegend. Zum anderen kommt es für die haftungsbegründende Kausalität auf das Gutachten vom 26.5.2003 überhaupt nicht an. Wie oben ausgeführt, hat der Kläger den entspr. Beweis schon durch das Biomechanikgutachten vom 3.5.2000 geführt, weshalb sich die Beweisfragen im Senatsbeschluss vom 25.5.2001 auch nicht darauf erstreckten, sondern Prof. Dr. P. ungefragt dazu Stellung genommen hat. Gegen das Gutachten vom 3.5.2000 hat der Beklagte in erster Instanz keinerlei Einwendungen erhoben. Sollte er nunmehr mit dem Antrag, den Sachverständigen zu seinem Gutachten vom 26.5.2003 anzuhören, auch Einwendungen gegen die Feststellungen im Gutachten vom 3.5.2000 vorbringen wollen, so wäre dies gem. § 528 Abs. 1 ZPO a.F. (gem. § 26 Ziff. 5 EGZPO findet altes Recht Anwendung, weil die mündliche Verhandlung des LG vor dem 1.1.2002 geschlossen wurde) verspätet. Danach sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür gesetzten Frist nicht vorgebracht wurden, nur zuzulassen, wenn sich dadurch die Erledig...

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