Leitsatz (amtlich)

1. Ein interner, einseitiger Kalkulationsirrtum berechtigt auch dann nicht zur Anfechtung, wenn er vom Erklärungsempfänger positiv erkannt wird oder der Erklärungsempfänger sich wegen treuwidriger Kenntnisvereitelung so stellen lassen muss.

2. Tritt die Unzumutbarkeit eines Angebots offen zu Tage, handelt der das Angebot Annehmende rechtsmissbräuchlich, wenn er den Zuschlag erteilt, um einen ersichtlich in keiner Weise marktkonformen günstigen Vertragspreis mit der Folge einer deutlichen wirtschaftlichen Schädigung seines Vertragspartners zu erlangen.

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 24.06.2013)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 11.11.2014; Aktenzeichen X ZR 32/14)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 19. Zivilkammer des LG Hannover vom 24.6.2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Wert des Berufungsverfahrens: 164.567,29 EUR

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um einen Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen die Klägerin wegen Nichterfüllung eines Auftrages, mit dem die Beklagte gegenüber einem unstreitigen Werklohnanspruch der Klägerin für die Durchführung von Straßenbauarbeiten die Aufrechnung erklärt hat.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Das LG hat die Aufrechnung der Beklagten als rechtsmissbräuchlich angesehen. Wegen der Begründung dieser Ansicht wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen das Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie rügt, das LG habe zu Unrecht eine unzulässige Rechtsausübung angenommen. Die auf Seiten der Beklagten tätigen Personen hätten den Kalkulationsirrtum der Klägerin im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung nicht gekannt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die erforderliche Kenntnis der Beklagten sei der Zeitpunkt des Zuschlages. Zu diesem Zeitpunkt hätten der Beklagten lediglich bloße Behauptungen der Klägerin zum angeblichen Kalkulationsirrtum und zu einer unzulässigen Mischkalkulation vorgelegen. Irgendwelche Belege, die diese Behauptung hätten untermauern können, habe die Klägerin trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Die Klägerin hätte ohne Aufforderung sämtliche Unterlagen, die ihren Kalkulationsirrtum belegten, von sich aus der Beklagten übermitteln müssen. Das sei nicht geschehen. Auch der Unterschied des Angebots der Klägerin zu dem nächsthöheren Angebot der Firma B. habe für die Beklagte keinen Anlass gegeben, einen Kalkulationsfehler ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Die Beklagte habe sich auch nicht treuwidrig der positiven Kenntnis eines angeblichen Kalkulationsirrtums verschlossen, indem es naheliegende Rückfragen unterlassen habe. Da die Klägerin zudem in dem nachfolgenden Schreiben vom 10.10.2011 sich auf eine unzulässige Mischkalkulation berufen habe und der Kalkulationsirrtum in diesem Schreiben keine Rolle mehr gespielt habe, habe die Beklagte durchaus Anlass gehabt, der Behauptung der Klägerin, es liege ein Kalkulationsirrtum vor, zu misstrauen. In einem solchen Fall könne nicht von der Kenntnis eines Kalkulationsirrtums und einer Treuwidrigkeit der Beklagten ausgegangen werden. Auch die behauptete Mischkalkulation habe die Klägerin in keiner Weise belegt. Das LG habe auch verkannt, dass sich die Kenntnis der Beklagten im allein maßgeblichen Zuschlagszeitpunkt auch auf alle Umstände habe beziehen müssen, welche die Vertragsdurchführung für die Klägerin schlechthin unzumutbar machte, etwa weil sie dadurch in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten wäre. Auch über diesen Umstand hätte die Klägerin die Beklagte umfassend aufklären und informieren müssen. In dem Anfechtungsschreiben seien jedoch zu den wirtschaftlichen Auswirkungen keine Angaben gemacht worden. Auch die Differenz von ca. 166.000 EUR zu dem nächsthöheren Angebot könne eine Unzumutbarkeit nicht rechtfertigen.

Die Beklagte beantragt, das am 24.6.2013 verkündete Urteil des Einzelrichters der 19. Zivilkammer des LG Hannover abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und meint zudem, das LG hätte bereits die Voraussetzungen eines Kalkulationsirrtums bejahen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen bis zur mündlichen Verhandlung am 22.1.2014 gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte ...

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