Leitsatz (amtlich)

An einer (nachträglichen) Gefahrerhöhung i.S.v. § 23 VVG fehlt es, wenn der Fahrzeugschein - in dem Sonderfall eines Wechsels des Versicherers - sich bereits bei Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers im Fahrzeug befand.

Ob der Senat angesichts der Urteile der OLG Oldenburg vom 23.6.2010 (5 U 153/09) und Bremen vom 20.9.2010 (3 U 77/09) unverändert bei seiner bisherigen Rechtsprechung (z.B. VersR 2008, 204) bleibt, wonach die dauerhafte Aufbewahrung des Fahrzeugscheins im Fahrzeug eine nicht nur unerhebliche Gefahrerhöhung darstellt, bedarf keiner Entscheidung.

 

Normenkette

VVG § 23

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 21.04.2010; Aktenzeichen 6 O 155/09)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 21.4.2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des LG Hannover teilweise geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.780 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.7.2009 zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Streitwert für das Berufungsverfahren: 9.780 EUR.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt restliche Entschädigung aus einem seit dem Jahr 2007 bestehenden Kaskoversicherungsvertrag, nachdem dieses Fahrzeug bereits zuvor bei einem anderen Versicherer durch die Klägerin versichert war.

Dem Versicherungsverhältnis zwischen den Parteien liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung Klassik - AKB KfzKlassik - der Beklagten zugrunde (Bl. 15 ff., Versicherungsschein Bl. 12 ff.). Das Vertragsverhältnis beinhaltet eine Fahrzeugvollversicherung mit 500 EUR Selbstbeteiligung einschließlich Teilkasko mit 150 EUR Selbstbeteiligung. Das versicherte Fahrzeug, ein VW Multivan, Erstzulassung 2003, wurde zwischen dem 29. und 30.1.2009 entwendet. Von dem Wiederbeschaffungswert von netto 16.300 EUR zahlte die Beklagte 40 %, 6.460 EUR. Die restlichen 60 %, 9.780 EUR, macht die Klägerin mit ihrer Klage geltend.

Das LG hat die Klage abgewiesen, weil - insoweit unstreitig - die Klägerin den KfzSchein dauerhaft, und zwar schon vor Beginn des Versicherungsverhältnisses mit der Beklagten, im Fahrzeug aufbewahrt habe. Darin liege eine erhebliche Gefahrerhöhung i.S.d. §§ 23, 29 VVG a.F. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Senats hat das LG ausgeführt, dass es der Fahrzeugschein dem Täter, der in einen Pkw eingebrochen sei, erlaube, diesen endgültig zu entwenden. Durch Vorzeigen des Scheins könne sich der Täter als scheinbar berechtigter Fahrzeugführer ausweisen. Ein "verstecktes" Aufbewahren ändere daran nichts. An der Bewertung ändere sich weiter nichts dadurch, dass das Fahrzeug vorab bei einer anderen Versicherung versichert gewesen sei und bereits zu dieser Zeit der KfzSchein im Fahrzeug aufbewahrt worden sei. Eine Abweichung vom vertraglich vorausgesetzten Soll Sicherheitsstandard unterfalle jedenfalls dann den Vorschriften der §§ 23 ff. VVG a.F., wenn, wie hier, eine individuelle Risikoprüfung nicht stattgefunden habe. Dies gelte vorliegend umso mehr, als nicht vorgetragen oder ersichtlich sei, dass die Klägerin ggü. dem Vorversicherer eine Mitteilung von der ständigen Aufbewahrung des KfzScheins im Fahrzeug gemacht habe.

Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung unter Aufrechterhaltung ihrer erstinstanzlich gestellten Anträge.

Entgegen den Darlegungen des LG habe bei der Vorgängerversicherung sehr wohl eine detaillierte Einzelfallprüfung stattgefunden. Überdies lägen die Tatbestandsmerkmale der §§ 23 ff. VVG a.F. nicht vor. Die Ausführungen des LG zur Legitimation durch den KfzSchein seien objektiv unsinnig, weil allein das Fahrzeugkennzeichen hilfreiches Unterscheidungskriterium sei, um das gestohlene Fahrzeug zu ermitteln. Wer mit erheblichem Aufwand die Türschließanlage, die Alarmanlage und zusätzlich die Wegfahrsperre überwinde, entschließe sich nicht erst durch das Auffinden des KfzScheins zu einem Fahrzeugdiebstahl. Außerdem meint die Klägerin, unter § 23 VVG a.F. fielen nur nachträgliche Risikoerhöhungen, nicht solche, die, wie hier, bereits im Zeitpunkt des Antrags vorgelegen hätten. Der Sollzustand müsse irgendwann nach Vertragsschluss bzw. nach Antrag vorgelegen haben, da ansonsten keine Änderung angenommen werden könne. Schließlich sei entgegen der Auffassung des LG die Ursächlichkeit nicht zu bejahen. Das Risiko der Entwendung des Fahrzeugs sei durch die versteckte Aufbewahrung des Kfz Scheins im Fahrzeug unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erhöht worden. Dabei stützt sie sich auch auf ein Urteil des OLG Oldenburg vom 23.6.2010 (5 U 153/09). Hilfsweise beruft sie sich darauf, dass die von der Beklagten in Ansatz gebrachte Abzugsquote i.H.v. 60 % unangemessen sei.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Abänderung des am 21.4.2010 verkündeten Urteil des LG Hannover, Geschäftsnummer: 6 O 155/09, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 9.780 ...

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