Entscheidungsstichwort (Thema)
Deliktische Haftung des Fahrzeugherstellers im Rahmen des "Diesel-Abgasskandals".
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Rückabwicklung des Kaufvertrages muss sich der Käufer gegenüber dem deliktisch haftenden Hersteller die gezogenen Nutzungsvorteile anrechnen lassen. Auch europarechtliche Vorschriften stehen dem nicht entgegen.
2. Sogenannte Deliktszinsen nach § 849 BGB stehen dem Käufer, der ein vom Dieselabgasskandal betroffenes Fahrzeug gekauft und genutzt hat, regelmäßig nicht zu.
3. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ist eine Überschreitung der Schwellengebühr von 1,3 nach Nr. 2300 VV RVG nicht angezeigt, wenn die Abfassung des Anspruchschreibens erhebliche Zeit nach Aufdecken des Dieselskandals erfolgt ist, sodass die Sache nicht (mehr) überdurchschnittlich schwierig oder umfangreich war.
Normenkette
BGB §§ 31, 826, 849; RVG-VV Nr. 2300
Verfahrensgang
LG Stade (Urteil vom 18.10.2018; Aktenzeichen 3 O 48/18) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 18. Oktober 2018 unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel teilweise geändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.780,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7. Januar 2018, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q5 2.0 TDI Quattro Stronic mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ..., zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs Audi Q5 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 EUR freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 71 % und die Beklagte zu 29 %.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
7. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz anlässlich des Erwerbs eines Kraftfahrzeugs des VW-Konzerns in Anspruch.
Der Kläger erwarb den streitgegenständlichen Gebrauchtwagen, einen Audi Q5 Quattro Stronic 2,0 l TDI, mit Kaufvertrag vom 10. Januar 2011 (infolge eines offensichtlichen Schreibfehlers datiert auf den 10. Januar 2010) von einem Audi-Werksangehörigen zu einem Kaufpreis von 44.500 EUR (Anlage K1, Bl. 24 GA). Das erstmals am 5. Juli 2010 zugelassene Fahrzeug hatte bei Kaufvertragsabschluss eine Laufleistung von 8.000 km. Seit dem 13. Januar 2011 ist der Kläger als neuer Halter in den Fahrzeugpapieren eingetragen (s. Zulassungsbescheinigung Teil I, Bl. 25 GA).
Das Fahrzeug, das der Schadstoffklasse EURO 4 angehört, ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor vom Typ EA 189 ausgestattet, welcher in Deutschland den sog. "VW-Dieselabgasskandal" ausgelöst hat. Das von dem Kraftfahrt-Bundesamt am 10. August 2016 für Fahrzeuge vom Typ Audi Q5 2,0 l TDI mit dem Aggregat EA 189 (EU4 und EU5) genehmigte Software-Update für die Motorsteuerung (s. Anlage B1, Bl. 60 GA) wurde am Fahrzeug des Klägers vorgenommen (Bl. 93 GA).
Unter Hinweis auf den sog. VW-Abgasskandal forderte der Kläger die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 28. Dezember 2017 zur Rückabwicklung des Kaufvertrages bis zum 6. Juli 2017 (gemeint offenbar 6. Januar 2018) auf (Anlage K 3, Bl. 28).
Da die Beklagte diesem Begehren nicht nachkam (Anlage K4, Bl. 30 GA), hat der Kläger sie im Klagewege auf Schadensersatz, gerichtet auf Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, in Anspruch genommen. Von dem Kläger ist vorgetragen worden, dass er das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er Kenntnis von der Manipulationssoftware gehabt hätte. Ihm sei es auf ein umweltfreundliches Fahrzeug angekommen. Das Verhalten der Beklagten, das Herstellen und Inverkehrbringen des in Rede stehenden Dieselmotors, sei sittenwidrig.
Durch Urteil vom 18. Oktober 2018 hat das Landgericht der Klage weitgehend stattgegeben, in dem die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 42.500,00 EUR unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung von 25.606,42 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 10. Januar 2010, Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu zahlen, sowie den Kläger von vorgerichtlichen Anwaltskosten von 1.680,28 EUR freizustellen; zugleich ist der Annahmeverzug festgestellt worden. Als Begründung hat das Landgericht unter Darlegung im Ein...