Entscheidungsstichwort (Thema)
Warnpflicht vor Terroranschlag
Leitsatz (amtlich)
1. Den Reiseveranstalter trifft dann kein Verschulden an dem Misslingen der (weiteren) Reise durch einen Terroranschlag, wenn er im Vorfeld der Buchung oder Durchführung der Reise keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für drohende Terroranschläge hatte; in diesem Falle schuldet er keine Warnung der Reisegäste.
2. Hinreichend konkrete Anhaltspunkte für einen Terroranschlag stellen Demonstrationen nicht dar, die sich zwar im Reiseland, aber mehrere 100 Kilometer vom Reiseziel des später Geschädigten entfernt zugetragen haben, selbst wenn sie in einem Stockschlag gegen einen Touristenbus gipfeln.
Einen solchen Anhaltspunkt stellt auch die Absperrung der Synagoge, an der sich der Terroranschlag später zugetragen hat, für touristische Besichtigung am letzten Tag des jüdischen Pessach-Festes durch zwei Polizeibeamte eine Woche vor dem Schadensereignis nicht dar.
Normenkette
BGB § § 651 f., §§ 652, § 823 ff., § 824
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 27.10.2004; Aktenzeichen 13 O 114/04) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des LG Hannover vom 27.10.2004 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % der von der Beklagten aufgewendeten notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsrechtszuges abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer des Klägers übersteigt 20.000 EUR.
Gründe
I. Die Eltern des am 11.9.1998 geborenen Klägers buchten für sich und den Kläger am 3.2.2002 eine Flugpauschalreise nach Djerba für die Zeit vom 8. bis 22.4.2002 zum Reisepreis von 1.886 EUR. Vor Ort buchten die Eltern des Klägers auf Empfehlung des Reiseleiters für Donnerstag den 11.4.2002 einen Halbtagesausflug auf der Insel unter der Bezeichnung "Land und Leute", deren Veranstalter die Beklagte war. Letztes Ziel dieses Ausfluges war die Synagoge "La Ghriba".
Als der Kläger mit seinen Eltern am 11.4.2002 die Synagoge betreten hatte, kam es zu einer Explosion, weil Terroristen einen mit Flüssiggas gefüllten Tankwagen, der vor dem Eingang der Synagoge abgestellt war, entzündeten. Der Kläger erlitt durch die Flammen schwerste Verbrennungen zweiten und dritten Grades an ca. 40 % seiner Körperoberfläche, insb. auch an Händen, Armen, Haupt und Gesicht; bei ihm sind bleibende Entstellungen und Beeinträchtigungen zu befürchten.
In den Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes für das Reiseland Tunesien gab es bis zum 11.4.2002 keine Hinweise auf ein erhöhtes Sicherheitsrisiko.
Der Kläger hat gemeint und meint, die Beklagte habe sich schadensersatzpflichtig gemacht, weil sie es versäumt habe, die Eltern des Klägers vor Antritt der Reise bzw. des Ausfluges über eine konkrete Gefahrenlage in Tunesien zu informieren.
Der Kläger hat dazu behauptet, in der Zeit vom 26.3.2002 bis zum 9.4.2002 sei es zu mehreren Übergriffen auf Touristen und Reisebusse gekommen, von denen die Beklagte zwangsläufig habe Kenntnis erlangt haben müssen. Wegen der einzelnen Vorfälle, die sich im Rahmen pro-palästinensischer-Demonstrationen in den Städten Mahdia, Sfax, Medenine und Mareth zugetragen haben sollen, wird auf deren Wiedergabe im landgerichtlichen Urteil sowie die S. 25 ff. der Klageschrift Bezug genommen.
Der Kläger hat behauptet, wenn seine Eltern über diese Vorfälle informiert worden wären, hätten sie die Reise nicht angetreten bzw. hätten an dem Ausflug nicht teilgenommen.
Der Kläger hat - unstreitig - 250.000 EUR aus einem Opferentschädigungsfonds der Bundesregierung sowie weitere 100.000 EUR aus von den tunesischen Hoteliers für die Opfer bereit gestellten Geldern erhalten.
Der Kläger hat ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 100.000 EUR, eine angemessene Schmerzensgeldrente von mindestens 500 EUR monatlich sowie den Ausgleich eines verletzungsbedingten Mehraufwandes an Betreuungsleistungen von 300 EUR monatlich sowie Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten begehrt.
Die Beklagte hat gemeint, die Gefahr von Terroranschlägen gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko und hat behauptet, Tunesien sei bis zu dem Anschlag vom 11.4.2002 ein ruhiges und sicheres Reiseland gewesen. Sie habe keinerlei Informationen über eine veränderte Sicherheitslage und einen bevorstehenden Terroranschlag gehabt. Zu massiven Übergriffen auf Touristen sei es zuvor nicht gekommen. Ein ihr bekannt gewordener Vorfall in Mahdia habe sich immerhin 400 km von der Insel Djerba entfernt zugetragen.
Das LG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat gemeint, dem Kläger stünden Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte nicht zu. Ein vertraglicher Schmerzensgeldanspruch scheide aus, weil § 253 Abs. 2 BGB gem. Art. 229 § 8 EGBGB nur für nach dem 31.7.2002 eingetretene Schadensereignisse anzuwenden sei. Für einen Schmerzensgeld...