Entscheidungsstichwort (Thema)
Anscheinsbeweis und Darlegungserleichterungen bei Glatteisunfall
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
LG Stade (Urteil vom 02.01.2003; Aktenzeichen 3 O 35/02) |
Tenor
1. Die Berufung gegen das Urteil des LG Stade vom 2.1.2003 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Beschwer: unter 20.000 Euro.
Gründe
I. Die 1935 geborene Klägerin begehrt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen eines Glatteisunfalls, den sie am 17.2.1999 um 10.30 Uhr in der Innenstadt von C. als Passantin auf dem Bürgersteig vor dem Grundstück der Beklagten zu 1) erlitten hat; die Beklagte zu 2) hat das Grundstück zum Betrieb ihrer Bankfiliale gemietet und den Auftrag zur Gehwegreinigung an ein gewerbliches Unternehmen vergeben. Die Klägerin erlitt bei dem Sturz einen dreifachen Schienbeinbruch sowie einen Trümmerbruch im Fersen- und Knöchelbereich. Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Die Klägerin verfolgt mit der Berufung ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiter. Sie rügt die Beweiswürdigung des LG und meint, das LG habe die Erleichterung eines Anscheinsbeweises übersehen. Der Zeuge N. habe lediglich eine Bestätigung „vom Hörensagen” über die erste Räumung um ca. 5.30 Uhr gegeben. Dieser Zeuge habe auch darauf verwiesen, dass im Unfallbereich rote Steine verlegt gewesen seien, die besonders leicht glatt würden. Ein zweiter Abstreuvorgang habe erst nach dem Unfall der Klägerin stattgefunden, obwohl er witterungs- und belagbedingt geboten gewesen sei. Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil. Die Witterungsverhältnisse seien extrem gewesen. Dies decke sich mit der Aussage des Zeugen N., dass wegen zwischenzeitlichen Schneefalls ein weiteres Abfahren der Strecken erforderlich gewesen sei, und der Aussage des Rettungssanitäters, dass es am Schadenstag vermehrt zu Einsätzen gekommen sei. Bei derartigen Witterungsverhältnissen bestehe keine Räum- und Streupflicht. Zu noch kürzeren Räumintervallen als der ersten Räumung um 5.30 Uhr und der zweiten Räumung in der Zeit zwischen 11.00 Uhr und 11.30 Uhr bestehe keine Rechtspflicht. Die Klägerin habe als Fußgängerin selbst besondere Sorgfalt walten lassen müssen.
II. Die Berufung ist nicht begründet, weil das LG i.E. zutreffend die Verletzung einer Räum- und Streupflicht verneint hat; die Klägerin hat die Voraussetzungen der Verletzung einer deliktischen Pflicht nicht bewiesen. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass die Klägerin mit ihrem Schmerzensgeldbegehren in der Größenordnung von 7.500 Euro auch der Höhe nach keinen Erfolg hätte haben können.
1. Die Klägerin ist glatteisbedingt auf dem öffentlichen Bürgersteig gestürzt. Eine Haftung der beklagten Grundstücksanliegerin und der Grundstücksmieterin ergibt sich allenfalls aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 2 der Straßenreinigungssatzung der Stadt Cuxhaven vom 28.11.1985 und § 3 Abs. 2 der StraßenreinigungsVO der Stadt Cuxhaven vom 8.12.1971, nicht aber aus § 823 Abs. 1 BGB (OLG Celle v. 6.8.1997 – 9 U 15/97, OLGReport Celle 1997, 226 = VersR 1998, 604). Der nach § 293 ZPO erforderliche und erst in zweiter Instanz erfolgte Sachvortrag zur städtischen Straßenreinigungssatzung ist als rechtzeitig zuzulassen, weil die Parteien, die erkennbar von einer unrichtigen Anspruchsgrundlage ausgegangen sind, bereits vom LG auf diese Fehlbeurteilung hätten hingewiesen werden müssen. Ob der Sachvortrag zur Delegation der Räum- und Streupflicht von der Grundstückseigentümerin auf die Mieterin für eine Haftbarmachung der Beklagten zu 2) ausreicht und ob wegen deren Delegation der Aufgaben auf einen gewerblichen Räumdienst eine Verletzung bloßer Kontrollpflichten festzustellen ist, bedarf keiner Entscheidung, weil der Senat eine Verletzung der primären Streupflicht verneint.
2. Für eine Streupflichtverletzung spricht entgegen der Auffassung der Klägerin kein Anscheinsbeweis. Ein Anscheinsbeweis ist nur hinsichtlich der Kausalität einer feststehenden Pflichtverletzung für einen Glatteisunfall gegeben (ebenso OLG Hamm ZfS 2000, 97); BGH v. 4.10.1983 – VI ZR 98/82, MDR 1984, 219 = NJW 1984, 432 [433] = VersR 1984, 40 hat sich nur mit dieser Problemstellung befasst. Allerdings geht der Senat in st. Rspr. davon aus, dass ein Glatteisunfall, der sich innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht ereignet hat, grundsätzlich die Verletzung einer deliktischen Streupflicht indiziert (vgl. z.B. Urt. v. 2.2.2000 – 9 U 121/99). Die erstinstanzlich durchgeführte Beweisaufnahme hat jedoch ergeben, dass frühmorgens am Unfalltage ausreichend geräumt und gestreut worden ist und die indizielle Wirkung des Unfalls daher aufgehoben ist.
Das angefochtene Urteil geht in nicht zu beanstandender Beweiswürdigung, der die Klägerin nur einen abweichenden Inhalt geben will, ohne Beweiswürdigungsfehler aufzuzeigen, davon aus, dass der von der Beklagten zu 2) beauftragte gewerbliche Streudienst den Ge...