Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Gerichtsgebühren bei Widerruf der Absicht zur Klagerhebung zeitlich vor Eingang der Klageschrift
Leitsatz (amtlich)
Die gerichtliche Verfahrensgebühr nach Nr. 1211 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG entsteht nicht, wenn der Kläger mit einem noch vor Einreichung der Klageschrift bei dem Gericht eingegangenen Schriftsatz darum bittet, die versehentlich an das unzuständige Gericht adressierte und auf den Postweg gebrachte Klage nicht einzutragen.
Normenkette
GKG § 3 Abs. 2 Anlage 1 Nr. 1211; BGB § 130 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Beschluss vom 10.09.2012; Aktenzeichen 9 O 136/12) |
Tenor
Die Beschwerde der L. vom 10.9.2012 gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Lüneburg vom 3.9.2012 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die L. wendet sich gegen einen Beschluss des LG Lüneburg, durch welchen es auf die Erinnerung der Klägerin eine Kostenrechnung des LG Lüneburg, mit welcher der Klägerin eine Gerichtsgebühr nach Nr. 1211 KV-GKG in Rechnung gestellt wurde, aufgehoben hatte.
Am 9.5.2012 um ca. 10.30 Uhr ist beim LG Lüneburg die ohne Ausstellungsdatum erstellte Klageschrift der Klägerin eingegangen.
Zuvor hatten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am gleichen Tage telefonisch erfragt, ob die Klageschrift beim LG bereits eingegangen war, was seitens des LG zutreffend verneint worden war. Darauf haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 9.5. mit um 08:43 Uhr per Telefax beim LG Lüneburg eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Folgendes mitgeteilt:
"... erfuhren wir auf telefonische Nachfrage, dass unsere Klageschrift vom 7.5.2012 noch nicht bei Gericht eingegangen ist. Die Klage wurde an das unzuständige Gericht eingereicht. Wir bitten die Sache nicht einzutragen, sondern mit unserem Büro Rücksprache aufzunehmen. Wir haben die Klage bereits bei dem zuständigen LG Oldenburg eingereicht."
Mit Kostenrechnung vom 31.7.2012 hat das LG Lüneburg der Klägerin eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 1211 KV-GKG in Rechnung gestellt.
Diese Kostenrechnung wurde durch Beschluss vom 3.9.2012 der 9. Zivilkammer des LG Lüneburg auf die Erinnerung der Klägerin vom 16.8.2012 aufgehoben.
Gegen diesen Beschluss hat der Bezirksrevisor am 10.9.2012 Beschwerde eingelegt.
Die 9. Zivilkammer der LG Lüneburg hat der Beschwerde durch Beschluss vom 12.9.2012 nicht abgeholfen.
II. Die gem. § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Zu Recht hat das LG die Kostenrechnung vom 31.7.2012 auf die Erinnerung der Klägerin vom 16.8.2012 aufgehoben, weil die Voraussetzungen für die Entstehung der mit der angegriffenen Kostenrechnung in Rechnung gestellten Gerichtsgebühr gem. Nr. 1210, 1211 KV-GKG nicht vorgelegen haben.
1. Gemäß § 6 Abs. 1 GKG wird die Verfahrensgebühr gem. Nr. 1210 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG mit der Einreichung der Klageschrift, nicht aber erst mit der Zustellung an die gegnerische Partei fällig (OLG Celle AGS 2009, 341, Rz. 5). Klageschrift im vorgenannten Sinn ist aber jedes Schriftstück, in dem die Absicht der Klageerhebung zum Ausdruck kommt (vgl. Senat, a.a.O., Musielak/Foerste, ZPO, 9. Aufl., § 253 Rz. 6).
Dafür spricht auch der sachliche Gehalt der Vorgängerregelungen zu § 6 Abs. 1 GKG. § 74 und später § 106 GKG knüpfte die Fälligkeit der Gebühr an das Stellen eines Antrages an. Antrag war dabei nicht im Sinne eines Sach- oder Klageantrages zu verstehen. Unter Antrag war dasjenige Begehren, das Verfahren stattfinden zu lassen (vgl. Senat, a.a.O.; Rittmann-Wenz, GKG, 16. Aufl. 1936, § 74 Rz. 3) bzw. diejenige Parteihandlung zu verstehen, "die nötig und dazu bestimmt ist, das betreffende Verfahren in Fluss zu bringen, die es "bedingt" (vgl. Friedlaender/Friedlaender, GKG, 1928, § 74 Rz. 3).
Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 GKG entsteht die Verfahrensgebühr mithin in dem Moment, in dem ein Schriftstück im vorgenannten Sinn bei Gericht postalisch oder per Fax eingeht (vgl. Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, Stand: Oktober 2008, Nr. 1210 KV Rz. 49).
a) Die Absicht zur Klageerhebung kam mit der am 9.5.2012 um ca.
10:30 Uhr bei LG eingegangenen Klage nicht mehr zum Ausdruck, weil bereits um 08:43 Uhr am gleichen Tage das Fax der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 9.5.2012 (Bl. 12 d.A.) mit der Bitte vorlag, die Klage nicht einzutragen.
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sind auch Prozesshandlungen nach den §§ 133, 157 BGB auszulegen (BGH NJW-RR 1994, 568, Rz. 7; BGH NJW 1995, 1183, Rz. 11). Dabei ist zugunsten einer Prozesspartei stets davon auszugehen, dass sie im Zweifel mit ihrer Prozesshandlung dass bezweckt, was nach Maßgabe der Prozessordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH MDR 1993, 469, Rz. 3).
Unter Berücksichtigung dieser Auslegungskriterien kann der Klageschrift zum Zeitpunkt ihres Eingangs bei Gericht nicht mehr die erforderliche Absicht zur Klageerhebung beigemessen werden. Die vorzunehmende Ausle...