Entscheidungsstichwort (Thema)
Elternunterhalt: Kürzung des Unterhaltsanspruchs der Mutter bei fehlendem persönlichen Kontakt zu ihrem Sohn über mehrere Jahrzehnte
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Elternunterhalt kann zu kürzen sein (hier um 25 %), wenn zwischen dem unterhaltspflichtigen Kind und dem Elternteil, dessen Unterhaltsanspruch auf den Sozialleistungsträger übergegangen ist, über einen sehr langen Zeitraum (hier 30 Jahre) keinerlei Kontakt bestanden hat.
Normenkette
BGB § § 1601 ff., § 1611; SGB XII § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Lehrte (Urteil vom 07.12.2009; Aktenzeichen 8 F 8291/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin und unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels wird das am 7.12.2009 verkündete Urteil des AG - Familiengericht - Lehrte geändert und wie folgt gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin insgesamt 6.767,48 EUR nebst Zinsen von 5 % über dem Basiszinssatz auf 5.329,49 EUR seit dem 16.3.2009, auf weitere 238,84 EUR seit dem 2.4.2009, auf weitere 238,34 EUR seit dem 4.5.2009, auf weitere 238,84 EUR seit dem 2.6.2009, auf weitere 240,99 EUR seit dem 2.7.2009, auf weitere 240,99 EUR seit dem 3.8.2009 sowie auf weitere 240,99 EUR seit dem 2.9.2009 zu zahlen sowie die Klägerin von der Verpflichtung zur Zahlung eines Betrages von 603,93 EUR an die Rechtsanwälte ... freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht gegen den Beklagten Unterhaltsansprüche seiner - am 21.4.1920 geborenen und im März 2010 verstorbenen - Mutter für die Zeit von Mai 2007 bis September 2009 geltend.
Die Mutter des Beklagten wurde am 15.1.2007 in der Pflegeeinrichtung ... aufgenommen. Die monatlichen Heimkosten beliefen sich auf 3.113 EUR, während die Mutter des Beklagten über Renteneinkünfte von rund 105 EUR sowie Leistungen der Pflegeversicherung von 1.279 EUR verfügte. In Höhe des Differenzbetrages von rund 1.729 EUR wurden die Heimkosten von der Klägerin getragen.
Mit Rechtswahrungsanzeige vom 7.5.2007 wurde der Beklagte über die Leistungen der Klägerin informiert und zur Auskunft über seine Einkünfte und sein Vermögen aufgefordert. Der Beklagte erhält Rentenzahlungen von der gesetzlichen Rentenversicherung, die im hier streitigen Zeitraum zwischen 1.563 EUR und 1.582 EUR liegen, sowie seitens der Zusatzversorgungskasse der Stadt H. von monatlich 189 EUR bzw. ab Januar 2008 von 193 EUR. Der Beklagte ist in zweiter Ehe wieder verheiratet und bewohnt mit seiner Ehefrau ein in deren Miteigentum stehendes, unbelastetes Haus. Die Ehefrau des Beklagten war bis September 2009 berufstätig und bezieht seit Oktober 2009 ebenfalls eine Altersrente von rund 1.166 EUR.
Mit der Klage hat die Klägerin für die Zeit von Mai 2007 bis Juni 2009 einen Betrag von 9.792 EUR, ab Juli 2009 von monatlich 385 EUR geltend gemacht und hat die Freistellung der Klägerin von der Verpflichtung zur Zahlung eines Betrages von 899,40 EUR an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin begehrt. Da die Ehefrau des Beklagten seit Oktober 2009 kein Erwerbseinkommen mehr erzielt, hat die Klägerin ihre Klagforderung auf die Zeit von Mai 2007 bis September 2009 in Höhe eines Betrages von insgesamt 10.947 EUR nebst Zinsen sowie auf den Freistellungsanspruch begrenzt.
Im angefochtenen Urteil hat das AG die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Mutter des Beklagten ihre Unterhaltsansprüche gegen ihn gem. § 1611 BGB verwirkt habe, weil sie ihn ohne nachvollziehbaren Grund kurz nach der Geburt zu der Großmutter zur Betreuung und Versorgung gegeben habe. Darüber hinaus sei seine Kindheit und Jugend eine einzige Folge von Zurücksetzungen, ungerechten Behandlungen und Schikanen gewesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren erstinstanzlich gestellten Antrag weiterverfolgt.
Im Übrigen wird wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen auf das angefochtene Urteil gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
2. Die Berufung ist teilweise begründet.
Der Klägerin steht aus gem. § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII übergegangenem Recht ein Anspruch auf Unterhalt nach §§ 1601 ff. BGB gegen den Beklagten zu.
a) Der Übergang der Unterhaltsansprüche der Mutter des Beklagten auf die Klägerin ist nicht gem. § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen. Danach gehen die Ansprüche nicht über, soweit der Übergang des Anspruchs eine unbillige Härte bedeuten würde.
Nach der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2004, 1097, 1098) unterliegt der Begriff der unbilligen Härte den sich wandelnden Anschauungen in der Gesellschaft, zumal in früheren Zeiten bestimmte Verhaltensweisen ohne weiteres als selbstverständlich angesehen wurden, während sie heute als Härte empfunden werden können. Weil bei der Auslegung der Vorschrift die Zielsetzung und die allgemeinen Grundsätze der Sozialhilfe zu beachten sind, kann eine unbillige Härte u.a. dann angenommen...