Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Beratungsunternehmen im Hinblick auf ein von dem Anleger unterzeichnetes "Empfangsbekenntnis" im Zivilprozess konkrete Tatsachenbehauptungen in Bezug auf eine "rechtzeitige" Übergabe des Emissionsprospekts aufstellen kann, obwohl sie von ihrem Berater diesbezüglich keine Informationen erteilt bekommen hat.

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Aktenzeichen 8 O 312/14)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 8. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Hannover vom 8. September 2016 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits jeweils zur Hälfte.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Von einer Darstellung des Sach- und Streitstands wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung der Kläger hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass den Klägern die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen, weil in der Hauptsache ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen fehlerhafter Anlageberatung gemäß § 280 Abs. 1 BGB nicht besteht.

1. Das Landgericht hat - auch unter Berücksichtigung der hiergegen gerichteten Einwendungen der Kläger in der Berufungsbegründung - zu Recht entschieden, dass etwaige Ansprüche wegen nicht anlegergerechter Beratung im Zusammenhang mit den im Beraterbogen genannten Risiken der Beteiligung kenntnisabhängig verjährt sind. Der Senat nimmt zwecks Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug auf die Ausführungen des Landgerichts, die er sich nach Überprüfung zu Eigen macht. Die Richtigkeit der Ausführungen des Landgerichts ist bestätigt worden durch eine zeitlich nach Verkündung des landgerichtlichen Urteils ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Versäumnisurteil vom 23. März 2017 - III ZR 93/16, juris Rn. 11 a. E.).

2. Jedenfalls im Ergebnis richtig hat das Landgericht entschieden, dass die Kläger nicht bewiesen haben, dass der Beklagten ein Verstoß gegen eine objektgerechte Beratung vorzuwerfen ist.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine ordnungsgemäße Anlageberatung auch durch die Übergabe von Prospektmaterial erfolgen, sofern der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln und er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor dem Vertragsschluss übergeben wird, dass sein Inhalt noch zur Kenntnis genommen werden kann, (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. April 2014

- III ZR 389/12, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09,

juris Rn. 32). Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, steht vorliegend die Eignung der Emissionsprospekte zur Aufklärung zwischen den Parteien außer Streit. Die Kläger entnehmen ihnen - schriftsätzlich - wortwörtlich die Risiken, über die sie nicht aufgeklärt worden sein wollen. Die Nichtübergabe des Emissionsprospektes vor der Zeichnung muss der jeweilige Anleger darlegen und beweisen. Denn ihn trifft als Anspruchsteller nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln die Darlegungs-und Beweislast für die behaupteten Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzungen. Allerdings handelt es sich bei der Nichtübergabe um eine für ihn negative Tatsache. Die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden - gerade im Bereich der Aufklärungs- und Beratungspflichten - nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen beraten bzw. aufgeklärt worden sein soll; dem Kläger obliegt sodann der Nachweis, dass diese Gegendarstellung nicht zutrifft (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - III ZR 84/10, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 - XI ZR 320/04, juris Rn. 15).

Voraussetzung für die besonderen Anforderungen an den Vortrag der Beklagtenseite hinsichtlich der (rechtzeitigen) Übergabe des Prospekts ist allerdings, dass zunächst der Anleger eine Aufklärungspflichtverletzung hinreichend dargelegt hat. Das setzt voraus, dass er in Bezug auf jedes einzelne Risiko, auf das er seine Klage stützt, vorträgt, über dieses weder mündlich noch mittels einer Übergabe des jeweiligen Prospektes hinreichend aufgeklärt worden zu sein. In Bezug auf Letzteres bedeutet dies, dass er darlegt, dass der Prospekt eine diesbezügliche Risikoaufklärung nicht enthält oder aber, dass er den - eine Aufklärung beinhaltenden - Prospekt nicht oder nicht so rechtzeitig vor der Zeichnung erhalten hat, dass er dessen Inhalt noch zur Kenntnis nehmen konnte (vgl. zu der Zeitspanne zwischen Prospektübergabe und Zeichnung etwa Urteil vom 26. Januar 2017 - 11 U 96/16, juris Rn. 39). Hat der Anleger den Prospekt erhalten, so hat er den - aus seiner Sicht zu späten - Zeitpunkt der Übergabe vorzutragen.

Erst dann hat das Beratungsunternehmen im Rahmen der sekundären Darlegungslast die Behauptung dieser (negativen) Tatsache durch ein...

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