Normenkette
BGB § 839; GG Art. 34
Verfahrensgang
LG Stade (Urteil vom 11.12.2002; Aktenzeichen 5 O 388/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11.12.2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des LG Stade geändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Wegen des Sach- und Streitstandes wird zunächst auf die Feststellungen der angefochtenen Entscheidung verwiesen, § 540 ZPO.
Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte weiterhin Klagabweisung. Dabei wiederholt sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und rügt die Vorgehensweise des LG als verfahrensfehlerhaft. Der Einzelrichter habe – offenkundig privat erkannte – Tatsachen zu den Örtlichkeiten am Unfallort zur Grundlage seines Urteils gemacht, ohne die Parteien vorab über diese Tatsachen zu informieren und ihnen hierzu rechtliches Gehör zu gewähren.
Die Klägerin, die ebenfalls ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt, verteidigt die angefochtene Entscheidung als richtig.
II. Die Berufung ist begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aus Schadensersatz gegen die Beklagte aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht zu. Dabei kann zugunsten der Klägerin der von ihr geschilderte Unfallhergang ebenso als zutreffend unterstellt werden wie ihr Vortrag zum Ausmaß des in das Luftraumprofil der Straße hineinragenden Teiles der Birke.
1. Zwar obliegt der Beklagten gem. § 10 NStrG die Verkehrssicherungspflicht für den H.-Weg, auf dem sich der Unfall ereignet hat. Jedoch liegt ein Verstoß gegen diese hoheitlich geregelte Verkehrssicherungspflicht nicht vor. Gegenstand der Verkehrssicherungspflicht sind diejenigen Gefahren, die für den sorgfältigen Benutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag (vgl. etwa BGH VersR 1967, 281; VersR 1979, 1055; v. 11.12.1984 – VI ZR 218/83, MDR 1985, 833 = VersR 1985, 336).
a) Absolute Grenzen für den Umfang der Verkehrssicherungspflicht betreffend die in den Luftraum über der Fahrbahn hineinragenden Teile (insb. Äste) von Straßenbäumen gibt es nicht. Insoweit ist lediglich gefestigte Rspr., dass es die Verkehrssicherungspflicht nicht erfordert, den Luftraum über den Straßen generell in der nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 StVZO für Fahrzeuge maximal zulässigen Höhe von 4 m freizuhalten (BGH VersR 1968, 72 f.; OLG Düsseldorf v. 1.12.1988 – 18 U 145/88, VersR 1989, 273; OLG Köln v. 1.8.1991 – 7 U 53/91, OLGReport Köln 1991, 6 = VersR 1991, 1265; OLG Celle v. 10.12.1997 – 9 U 137/97, OLGReport Celle 1998, 63 f. = MDR 1998, 598). Denn § 32 StVZO ist eine Bau- und Betriebsvorschrift für Kraftfahrzeuge, nicht aber für Straßen.
Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht hängt entscheidend vom Charakter der Straße ab und wird maßgebend durch Art und Ausmaß ihrer Benutzung und durch ihre Verkehrsbedeutung bestimmt (BGH VersR 1965, 260 f.; OLG Celle v. 10.12.1997 – 9 U 137/97, OLGReport Celle 1998, 63 f. = MDR 1998, 598). Dabei kann vom Verkehrssicherungspflichtigen nicht verlangt werden, dass die Straße völlig gefahrlos ist. Hingegen muss der Pflichtige in geeigneter und in objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den sorgfältigen Benutzer nicht erkennbar sind und auf die er sich deshalb nicht einzurichten vermag (BGH v. 13.7.1989 – III ZR 122/88, MDR 1989, 1084 = VersR 1989, 927).
b) Das Maß der vom Verkehrssicherungspflichtigen einzuhaltenden Sorgfalt zum Schutz vor einem in das Luftraumprofil der Straße hineinragenden Baumteil ist im Einzelfall und vor allem anhand folgender Kriterien (OLG Brandenburg v. 16.5.1995 – 2 U 114/94, OLGReport Brandenburg 1995, 172 = VersR 1995, 1051 f.; OLG Celle v. 10.12.1997 – 9 U 137/97, OLGReport Celle 1998, 63 f. = MDR 1998, 598) zu bestimmen:
- Verkehrsbedeutung der Straße unter besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung für den Verkehr von Fahrzeugen mit hohen Aufbauten,
- Fahrbahnbreite,
- Erkennbarkeit der Gefahrenstelle,
- Höhe des hineinragenden Astwerkes.
Hinzu kommt eine Abwägung zwischen den Belangen der Verkehrssicherheit einerseits und dem ökologischen Interesse an der Erhaltung des Baumbestandes andererseits (OLG Köln v. 1.8.1991 – 7 U 53/91, OLGReport Köln 1991, 6 = VersR 1991, 1265).
c) Bei Straßen von erheblicher Verkehrsbedeutung, namentlich Bundesstraßen und Ausfallstraßen, ist es im Interesse der Verkehrssicherheit und des Schutzes der Rechtsgüter der Verkehrsteilnehmer geboten, den Verkehrsraum in dem Umfang, in dem er von Fahrzeugen mit den gesetzlich maximal zulässigen Abmessungen in Anspruch genommen werden kann, von störenden Einflüssen – also auch von Baumteilen – freizuhalten. Dies folgt daraus, dass die Dichte und Schnelligkeit des Verkehrs auf solchen Straßen die volle Konzentration der Fahrzeugführer auf die Verkehrsvorgänge erfordert. Den Führern von Fahrzeugen mit hohen Aufbauten kann auf solchen Straßen nicht auch noch abve...