Entscheidungsstichwort (Thema)

Heros-Komplex. Eintrittspflicht des Transportversicherers bei Veruntreuung transportierter Gelder durch ein Werttransportunternehmen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. In einer Transportversicherung ist, auch wenn jegliche Verluste und/oder Schäden gleichviel aus welcher Ursache einschließlich der Veruntreuung und/oder Unterschlagung durch den Versicherungsnehmer versichert sind, eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf den Verlust von Bargeld unter Ausschluss von Buchgeld vorzunehmen, wenn sich dies aus den sonstigen Bestimmungen des Versicherungsvertrages, insbesondere zum Gegenstand, zur Dauer und zur Prämienkalkulation ergibt (Bestätigung des Urteils des Senats OLG Celle - 8 U 11/08 - 19.09.2008, in VersR 2008, 1532).

2. Mangels stofflichen Zugriffs fehlt es mithin an einem Versicherungsfall des Verlustes von Bargeld, wenn das Werttransportunternehmen eingesammeltes und gezähltes Bargeld bei der Bundesbank nicht unmittelbar auf ein Konto der Hausbank des Kunden (Versicherter) einzahlt (sog. Nicht-Konto-Verfahren), sondern die Einzahlung zunächst auf ein Eigenkonto des Werttransportunternehmens bei der Bundesbank erfolgt (sog. Überweisungsverfahren), sofern nicht der Kunde (Versicherter) und das Werttransportunternehmen eindeutig vereinbart haben, dass eine Einzahlung nur im Wege des Nicht-Kontoverfahrens erfolgen darf. Hierbei kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, wie die spätere tatsächliche Abwicklung des Zahlungsverkehrs erfolgte.

3. Der Versicherer ist berechtigt, einen Vertrag über eine Transportversicherung wegen arglistiger Täuschung anzufechten, wenn das Werttransportunternehmen anlässlich des Neuabschlusses eines Vertrages keine Angaben zu dem seit Jahren betriebenen Schneeballsystem und der entstandenen Liquiditätslücke macht. Diese Anfechtung wegen arglistiger Täuschung kann grundsätzlich auch den Kunden des Werttransportunternehmens entgegengehalten werden, soweit vertraglich nicht ausdrücklich vereinbart ist, dass das Anfechtungsrecht des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer dem Versicherten (Kunden) nicht entgegengehalten werden kann (Bestätigung von Senat VersR 2008, 1532).

4. Die Anfechtung eines Versicherungsvertrages führt dann nicht zum Aufleben eines zeitlich davor liegenden weiteren Vertrages, wenn es sich um den vollständigen Neuabschluss einer Versicherung und nicht um eine bloße Abänderung des früheren Vertrages handelt. Der Neuabschluss kommt bei einer Transport bzw. Valorenversicherung dann in Betracht, wenn der Anteil des führenden Versicherers erhöht wird, Anlass des Abschlusses des neuen Vertrages die Euro-Umstellung mit den dadurch bedingten erhöhten Risiken war, Deckungssummen erhöht wurden, der räumliche Geltungsbereich des Vertrages ausgedehnt wurde etc.

 

Normenkette

VVG § 2 a.F., § § 74 ff a.F.; BGB § 123; AVB Transportversicherung

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Entscheidung vom 11.04.2008; Aktenzeichen 13 O 208/07)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 11. April 2008 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11. April 2008 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem Versicherungsvertrag der H.-Gruppe mit der Beklagten auf Ersatz des ihr entstandenen Schadens im Zusammenhang mit von H. durchgeführten Geldtransporten - Geldentsorgung und Bargeldversorgung in Anspruch.

Die Klägerin betreibt in Deutschland durch verschiedene unselbständige Niederlassungen ca. 1230 LebensmittelVerkaufsläden. Sie schloss unter dem 19.04.2005 mit der H. T. GmbH, mit der sie bereits zuvor in Vertragsbeziehungen stand, einen "Dienstleistungsvertrag" über die Durchführung von Geldtransporten für ihre Verkaufsläden im Bereich ihrer Niederlassungen A., C. und K. (Anlage K 1, mit einer Ergänzung um zwei weitere Filialen gemäß Anlage vom 22./24.08.2005). Gemäß § 1 Ziff. 4 des Vertrages haftet der Auftragnehmer dem Auftraggeber gegenüber für Verlust, Vernichtung oder Beschädigung der ihm zur Beförderung und Bearbeitung übergebenen Gelder oder Schecks. Nach § 6 Ziff. 1 ist der Auftragnehmer verpflichtet, jederzeit zur Absicherung der Haftung aus gesetzlicher und vertraglicher Verpflichtung einen entsprechenden Versicherungsschutz zu unterhalten.

Die tatsächliche Abwicklung gestaltete sich derart, dass von H. die Tageseinnahmen der verschiedenen Ladengeschäfte der Klägerin eingesammelt und in sog. Cash-Center der H.-Gruppe gebracht wurden, wo das Geld zur Einzahlung bei der Bundesbank vorbereitet wurde. Anschließ...

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