Leitsatz (amtlich)
Die zahlenmäßige Beschränkung auf drei Tätigkeitsschwerpunkte in § 7 Abs. 1 BORA greift nicht ein, wenn in der Anzeige einer Anwaltssozietät eine Zuordnung der angegebenen Tätigkeitsschwerpunkte zu bestimmten Anwälten der Sozietät nicht vorgenommen wird, und wenn die Anzeige nicht den Eindruck erweckt, dass einzelne Sozietätsmitglieder mehr als drei Tätigkeitsschwerpunkte haben.
Normenkette
BRAO § 59b Abs. 2 Nr. 3; BORA § 7 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 24 O 33/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des LG Hannover vom 7.5.2002 geändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz und des Berufungsverfahrens zu tragen.
Gründe
I. Die Verfügungsklägerin ist Rechtsanwältin in H. Die Verfügungsbeklagte, eine aus vier Rechtsanwälten bestehende Anwaltssozietät in …, warb für ihre Leistungen in einer Zeitschrift mit einer Anzeige:
Tätigkeitsschwerpunkte
– Arbeitsrecht
– Ehe- und Familienrecht
– Erbrecht
– Gesellschaftsrecht
– Jugendstrafrecht
– Miet- und Pachtrecht
– Privates Baurecht
– Verkehrsrecht
– Straf- und Verfahrensrecht
– Wirtschaftsrecht
Die Verfügungsklägerin sieht in der Werbung einen Verstoß gegen anwaltliches Berufsrecht, weil entgegen § 7 Abs. 1 BORA mehr als drei Tätigkeitsschwerpunkte genannt seien und eine Zuordnung der Tätigkeitsschwerpunkte zu den einzelnen Sozietätsmitgliedern nicht erfolge. Sie hat die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das LG hat die Verfügungsbeklagte antragsgemäß verurteilt, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken für ihre Kanzlei in Zeitungen oder Zeitschriften mit Anzeigen zu werben, die keine Zuordnung der Tätigkeitsschwerpunkte zu den einzelnen Rechtsanwälten der Kanzlei enthalten, sofern mehr als drei Tätigkeitsschwerpunkte genannt werden.
Mit der Berufung verfolgt die Verfügungsbeklagte ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter.
II. Die Berufung ist begründet.
1. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht der Verfügungsklägerin nicht zu. Entgegen der Ansicht des LG verstößt die beklagte Anwaltssozietät mit ihrer Werbung nicht gegen § 1 UWG i.V.m. §§ 43b, 59b BRAO, 7 BORA. Auch eine Verletzung anderer Bestimmungen liegt nicht vor.
a) Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 BORA greift nicht ein.
Nach § 7 Abs. 1 BORA dürfen unabhängig von der Angabe von Fachanwaltsbezeichnungen als Teilbereiche der Berufstätigkeit nur Interessen- und/oder Tätigkeitsschwerpunkte benannt werden; insgesamt sind nicht mehr als fünf Benennungen zulässig, davon höchstens drei Tätigkeitsschwerpunkte. Es ist anerkannt, dass die Vorschrift nicht die Angabe kanzleibezogener Tätigkeitsschwerpunkte regelt, sondern nur die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten des einzelnen Rechtsanwalts (BGH v. 19.4.2001 – I ZR 46/99, BGHReport 2001, 844 = MDR 2002, 239 = NJW 2001, 3193 [3194]; WRP 2001, 537 [538]; Feurich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 43b BRAO Rz. 30, § 7 BO Rz. 6). Nach Auffassung des Senats greift darüber hinaus die zahlenmäßige Beschränkung auf drei Tätigkeitsschwerpunkte nicht ein, wenn aus Sicht der mit der Anzeige angesprochenen Rechtsuchenden die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten sich zwar auf die fachlichen Ausrichtungen der einzelnen Sozietätsmitglieder bezieht, jedoch eine Zuordnung der angegebenen Tätigkeitsschwerpunkte zu bestimmten Anwälten der Sozietät nicht vorgenommen wird, und wenn die Anzeige nicht den Eindruck erweckt, dass einzelne Sozietätsmitglieder mehr als drei Tätigkeitsschwerpunkte haben. Dies ergibt sich aus einer verfassungskonformen Auslegung der § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO i.V.m. § 7 Abs. 1 BORA:
Nach § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO ist der Satzungsgeber im Rahmen der Vorschriften der BRAO befugt, die besonderen Berufspflichten des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Werbung näher zu regeln. Die Regelungsbefugnis des Satzungsgebers umfasst auch die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten, denn dabei handelt es sich um eine Werbemaßnahme (BGH v. 26.5.1997 – AnwZ (B) 67/96, MDR 1997, 987 = NJW 1997, 2522 [2523]). Die Regelung des Satzungsgebers muss allerdings mit den Grundrechten vereinbar sein. Die Werbung der Rechtsanwälte für die Inanspruchnahme ihrer Dienste fällt in den Bereich der durch Art. 12 GG geschützten berufsbezogenen Tätigkeiten (BVerfG v. 25.4.2001 – 1 BvR 494/00, MDR 2001, 776 = NJW 2001, 1926 [1927]). Die dem Rechtsanwalt bei der Werbung auferlegten Beschränkungen sind nur dann mit § 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Das ist grundsätzlich der Fall, soweit die Werbebeschränkungen geeignet und erforderlich sind, das Vertrauen der Rechtsuchenden zu stärken, der Anwalt werde nicht aus Gewinnstreben zu Prozessen raten oder die Sachbehandlung an Gebühreninteressen ausrichten. Den Angehörigen freier Berufe muss jedoch für die interessengerechte und sacha...