Leitsatz (amtlich)
1. Kalkulationsunterlagen eines privaten Krankenversicherers enthalten regelmäßig Geschäftsgeheimnisse, auch wenn diese in Parallelverfahren bereits offengelegt wurden.
2. Eine Geheimhaltungsanordnung ist auf die in der mündlichen Verhandlung anwesenden Personen beschränkt; einbezogen werden können auch Hilfspersonen einer Partei, z.B. Privatgutachter.
3. Die Berechnungs- und Kalkulationsunterlagen stellen keine personenbezogenen Daten im Sinne der SDGVP dar.
4. Die Einreichung von geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen auf einem nicht von der ERVV erfassten Datenträger hat nicht die Unwirksamkeit der Übermittlung zur Folge.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 2786/22) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Kläger und seine Prozessbevollmächtigte je zur Hälfte.
3. Der Gegenstandswert der Beschwerde wird auf 1.327,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit von Beitragserhöhungen seiner bei der Beklagten gehaltenen privaten Krankenversicherung. Er macht die formelle und materielle Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen geltend. Mit Schriftsatz vom 26.04.2023 hat die Beklagte zwei DVDs übersandt, die die Kalkulationsgrundlagen der Prämienerhöhungen enthalten und die bis zur rechtskräftigen Sicherstellung der Geheimhaltung nur für das Gericht zur Kenntnis bestimmt waren.
In der mündlichen Verhandlung vom 31.08.2023 hat das Landgericht die Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 2 GVG für die weitere Verhandlung ausgeschlossen und durch Beschluss dem Kläger und der anwesenden Klägervertreterin gemäß § 174 Abs. 3 GVG die Pflicht auferlegt, die ihnen durch die heutige Verhandlung aus den Treuhänderunterlagen zur Kenntnis gelangten Tatsachen geheim zu halten. Gegen den der Klägervertreterin am 18.09.2023 zugestellten Beschluss über die Anordnung der Geheimhaltung hat sie mit am 27.09.2023 eingegangenem Schriftsatz im Namen des Klägers und im eigenen Namen sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Beschwerdeführer meinen, der Beschluss sei schon deshalb aufzuheben, weil der Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt worden sei. Des Weiteren sei sowohl die Klageschrift als auch der Schriftsatz vom 26.04.2023, mit dem die als geheimhaltungsbedürftig gekennzeichneten Unterlagen übersandt worden seien, nicht wirksam eingereicht worden. Diese seien weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des zu verantwortenden Rechtsanwalts versehen noch von diesem auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden. Für die sichere Übermittlung müsse das Dokument über das Postfach desjenigen Rechtsanwaltes übertragen werden, dessen Name als Signatur in der Schrift als verantwortende Person aufgeführt sei. Hier habe aber ein anderer Rechtsanwalt als der zu verantwortende Rechtsanwalt die Schriftsätze nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht. Das Gericht habe daher den darin enthaltenen Sachvortrag nebst Beweisangeboten nicht bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Die Einreichung der Unterlagen auf einer DVD wahre nicht die prozessuale Form und sei daher nicht wirksam, denn die Anlagen seien auf elektronischem Weg zur Akte zu reichen. Die DVDs könnten nicht zur Prozessakte genommen werden. Schriftsätze seien bedingungsfeindlich, daher könne ihre Kenntnisnahme nicht von einer Bedingung - der Geheimhaltungsanordnung - abhängig gemacht werden. Das Gericht könne die Entscheidung zum Nachteil des Klägers nicht auf Parteivortrag und Unterlagen stützen, die nicht Gegenstand der Prozessakte seien. Ein Passwortschutz der DVDs sei ebenfalls unzulässig, denn die Dokumente dürften nicht zugriffsgeschützt sein. Die Form der Einreichung sei als Zulässigkeitsvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen und bei Nichteinhaltung seien die Prozesserklärungen nichtig und der Parteivortrag verspätet. Das Gericht könne eine Geheimhaltungsanordnung nicht auf Unterlagen stützen, die nicht Bestandteil der Prozessakte geworden seien. Diese Unterlagen dürften zum Nachteil des Klägers nicht verwendet werden.
Es liege schon kein Geschäftsgeheimnis der Beklagten im Sinne des Geschäftsgeheimnisgesetzes vor. Es seien zahlreiche Klageverfahren gegen die Beklagte anhängig, in denen sie die Treuhänderunterlagen vorzulegen habe. Diese seien damit nicht nur einem begrenzten Personenkreis bekannt. Aussagen über unternehmenspolitische Projekte enthielten zahlreiche veröffentlichte Geschäftsberichte. Bei länger zurückliegenden Beitragsanpassungen sei wegen des zunehmenden Zeitablaufes ein Geheimhaltungsinteresse nicht mehr gegeben. Es müssten allen Verfahrensbeteiligten, auch noch zu beauftragenden Privatsachverständigen sowie deren Mitarbeitern diese Informationen zur Verfügung gestellt werden können. Es fehle zudem an einer gesetzlichen Grundlage für die Einschränkung der Rechte des Prozessvertreters des Klägers. Ein ausschließlich auf die Klagepartei und deren Prozessbevollmächtigte bezogener Schutz se...