Leitsatz (amtlich)
Die für den Lauf der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis des Patienten in einer Arzthaftungssache ist nicht bereits dann gegeben, wenn ihm der negative Ausgang einer Behandlung bekannt ist. Auch die Kenntnis von postoperativen Komplikationen und starken Schmerzen reicht hierfür nicht aus.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 1359/21) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 13.1.2022 aufgehoben. Dem Antragsteller wird ratenlose Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin M ... L ..., für folgenden Klageantrag bewilligt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld In Höhe von bis zu 50.000,- EUR nebst Zinsen In Höhe von fünf Prozentpunkten hieraus seit dem 10.3.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen Kosten seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe einer 1,3 Gebühr aus einem Streitwert von 60.000,- EUR freizustellen und diese Ansprüche ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche entstandenen und noch entstehenden materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem aus der fehlerhaften Behandlung im Zeitraum vom 25.1. bis 17.2.2017 im Klinikum der Beklagten entstanden sind oder noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte entstanden sind.
II. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
III. Die Beschwerdegebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er die Antragstellerin wegen der Folgen einer Leistenhernienoperation auf Schmerzensgeld, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und die Feststellung der Einstandspflicht für Zukunftsschäden in Anspruch nehmen will. Im Anschluss an die am 25.1.2017 erfolgte Operation hatte sich bei ihm eine Sepsis mit akutem Nierenversagen bei 4-Quadranten-Peritonitis entwickelt. Der Kläger behauptet, dies sei auf eine unzureichende Reaktion auf die von ihm geäußerten extremen Schmerzen und eine unzureichende Befunderhebung zurückzuführen. Trotz eines nach der Operation auf bis zu 214,06 mg/l angestiegenen CRP-Werts hätten die Ärzte der Beklagten nicht umgehend reagiert, eine gebotene CT-Untersuchung zu spät angesetzt und ihn erst am 27.1.2017 notoperiert. Dies rechtfertige ein Schmerzensgeld von mindestens 150.000,- EUR. Da er zugleich seine Arbeitsstelle habe aufgeben müssen und einen Haushaltsführungsschaden erlitten habe, sei der Feststellungantrag mit 100.000,- EUR zu bemessen. Die Antragstellerin hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die begehrte Prozesskostenhilfe versagt. Zwar habe der Antragsteller einen Behandlungsfehler schlüssig dargelegt, der das begehrte Schmerzensgeld rechtfertige. Auch der Feststellungsantrag sei schlüssig dargelegt. Allerdings greife die Verjährungseinrede der Beklagten durch, so dass es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht fehle. Der Antragsteller hätte bei erhöhten Entzündungswerten und insbesondere aufgrund der von ihm angegebenen "höllischen Bauchschmerzen" erkennen können, dass es sich hierbei um postoperative Komplikationen aufgrund ärztlichen Fehlverhaltens handeln könne. Insbesondere sei weder dargelegt, "welche Kenntnis aufgrund welcher Anhaltspunkte" der Antragsteller erst im Jahr 2021 erlangt habe.
Der sofortigen Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen. Die Antragstellerin hatte im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie verteidigt den ablehnenden Beschluss.
II. Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingereichte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führte zur Bewilligung ratenloser Prozesskostenhilfe in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Der bedürftige Antragsteller ist - wie sich aus den im Verfahren vor dem Landgericht eingereichten Unterlagen ergibt - bedürftig. Seine Rechtsverfolgung hat auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Grundsätzlich muss der Patient, der einen Arzt auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, zunächst den nach §§ 630a ff., 823 Abs. 1, 280 Abs. 1 Satz 1 BGB notwendigen Behandlungsfehler darlegen und beweisen. Hierbei sind an seine Substantiierungspflichten lediglich maßvolle Anforderungen zu stellen, weil von ihm angesichts des bestehenden Informationsgefälles zwischen Arzt und Patient regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03 - juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 29.11.2016 - 8 U 143/13; OLG Frankfurt, Urteil vom 11.07.2017 - 8 U 150/16 beide juris). Die Partei darf sich daher auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03; vom 14.03.2017 - VI ZR 605/15 - juris; Senat, Beschluss vom 19. Mär...