Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Anfangsverdacht auf Leistungsbetrug ist der Sozialleistungsträger berechtigt, auch ohne gesonderte Anforderung der Staatsanwaltschaft zugleich mit der Strafanzeige, die Sozialdaten des Betroffenen an die Ermittlungsbehörde zu übersenden.

2. Ein Richtervorbehalt greift insoweit nicht ein.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 3174/19)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

3. Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 25.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadenersatz wegen einer ihrer Auffassung nach unzulässigen Übermittlung von Sozialdaten einschließlich medizinischer Befunde an die Staatsanwaltschaft Leipzig. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und der erstinstanzlichen Antragstellung wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Leipzig vom 13. Januar 2021 Bezug genommen. Das Landgericht Leipzig hat mit Urteil vom 13. Januar 2021 die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Die Klägerin verfolgt mit der von ihr form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter. Sie ist weiterhin der Auffassung, die Beklagte sei zur Weiterleitung der Daten an die Staatsanwaltschaft nicht befugt gewesen. Der vom Landgericht herangezogene § 197 a Abs. 4 SGB V sei hier nicht einschlägig. Bei den Versichertendaten und medizinischen Befunden der Klägerin handele es sich jeweils um Sozialdaten im Sinne des § 67 Abs. 2 SGB X. Die streitgegenständliche Übermittlung der Sozialdaten falle unter § 73 Abs. 3 SGB X und unterliege daher dem Richtervorbehalt. § 197 a Abs. 4 SGB V umfasse dagegen nur die Datenübermittlung innerhalb des Gesundheitswesens. Auf dieser Grundlage dürfe die Beklagte daher nicht ungefragt Gesundheits- und Sozialdaten ihrer Versicherten an die Staatsanwaltschaft weitergeben. Eine derartige Befugnis ergebe sich auch nicht aus § 69 SGB X. Nach § 76 SGB X sei die Übermittlung von besonders schutzwürdigen Sozialdaten, zu denen Gesundheitsdaten zählten, nur mit Einwilligung der betroffenen Personen zulässig. Im übrigen sei ein weiterer Verstoß der Beklagten aufgrund der unverschlüsselten Übermittlung der Daten gegeben. Da die streitgegenständliche Datenübermittlung eine automatisierte Datenverarbeitung i.S.d. § 8 Abs. 1 BDSG a.F. darstelle, bestehe ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch der Klägerin. Außerdem habe die Klägerin wegen des Fehlverhaltens des Mitarbeiters der Beklagten einen Anspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Mit der Übermittlung der Daten sei ein schwerer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin gegeben.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils des LG Leipzig vom 13. Januar 2021

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, einen Betrag von 25.000,00 EUR jedoch nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.242,80 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung der Klägerin ist nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Sie bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Wegen der Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf die Gründe seines Hinweisbeschlusses vom 27. Mai 2021. An der dort dargelegten Auffassung hält der Senat auch nach nochmaliger Prüfung unter Berücksichtigung der Einwände der Klägerin mit Schriftsatz vom 23. Juni 2021 fest. Ergänzend zu dem Hinweisbeschluss des Senats ist im Hinblick auf den vorgenannten Schriftsatz der Klägerin lediglich noch Folgendes auszuführen:

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