Leitsatz (amtlich)
Zum Fahrverbot nach § 44 StGB:
(Fortführung Senatsbeschluss vom 16. April 2021 - 2 OLG 22 Ss 195/21 - juris)
Die Gesetzesformulierung "zur Einwirkung auf den Täter erforderlich" in § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB in der seit dem 24. August 2017 geltenden Fassung ist nicht im Sinne einer Denkzettelfunktion zu verstehen ("noch" erforderlich). Korrespondierend mit der Betonung der Pönalisierungsfunktion im Rahmen der Novellierung ist sie vielmehr als Anwendungsregel auszulegen, welche die Angemessenheit des Gesamtübels, bestehend aus Haupt- und Nebenstrafe, gewährleisten soll. Die Nebenstrafe des § 44 StGB ist - losgelöst von einem präventiven Aspekt - "zur Einwirkung auf den Täter erforderlich", wenn die Hauptstrafe allein als gerechter Schuldausgleich nicht ausreicht oder sonst unangemessen erscheint.
Verfahrensgang
LG Dresden (Entscheidung vom 15.02.2022; Aktenzeichen 8 Ns 151 Js 52896/18 (3)) |
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 15. Februar 2022 wird auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Gegenerklärung gegeben hat, als unbegründet
v e r w o r f e n,
weil die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Gründe
Der Revisionsführer beanstandet zu Unrecht, dass sich das Tatgericht mit den Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht auseinandergesetzt habe. Die Revision unterliegt diesbezüglich einem Missverständnis dieser Vorschrift, die keinen Zeitfaktor enthält und nunmehr auch Nicht-Verkehrsstraftaten erfasst.
Wie der Senat bereits ausgeführt hat (Beschluss vom 16. April 2021 - 2 OLG 22 Ss 195/21 - juris), wurde der Anwendungsbereich des Fahrverbots nach § 44 StGB mit der Gesetzesnovellierung 2017 wesentlich erweitert (BT-Drs 18/11272, Seite 14 ff.). Seine bis dahin allgemein anerkannte, auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Fahrverbot nach § 25 StVG zurückgehende Bedeutung als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme für Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 1969 - 2 BvL 11/69 -, juris Rdnr. 15) hat an Gewicht verloren. Statt dessen wurde den Tatgerichten mit der Erweiterung des Anwendungsbereichs ein "zielgenaueres" (vgl. BT-Drs a.a.O., Seite 17) Mittel bereitgestellt, welches einerseits auch außerhalb von Verkehrsdelikten Anwendung finden kann und andererseits eine besser dosierte Gesamtsanktion aus Kombination und in Wechselwirkung mit der Hauptstrafe ermöglicht (BT-Drs a.a.O.).
Im Lichte des Zwecks dieser Novellierung ist die Gesetzesformulierung "zur Einwirkung auf den Täter erforderlich" (§ 44 Abs. 1 Satz 2 StGB) daher nicht im Sinne der Denkzettelfunktion auszulegen ("noch" erforderlich), sondern - korrespondierend mit der gesetzgeberischen Betonung der Pönalisierungsfunktion - als eine auf die Angemessenheit des Gesamtübels bezogenen Strafzumessungsrichtlinie. Die Rechtsfolge, bestehend aus Haupt- und/oder Nebenstrafe, soll im Verhältnis zum begangenen Unrecht gerechter Schuldausgleich sein. Die Nebenstrafe ist deshalb - losgelöst von einem präventiven Aspekt - "zur Einwirkung auf den Täter erforderlich", wenn die Hauptstrafe allein nicht als gerechter Schuldausgleich ausreicht.
Der Senat vermag aus den genannten Gründen auch nicht den Überlegungen von Staudinger (jurisPR-StrafR 14/2021 Anm. 5 zum Senatsbeschluss vom 16. April 2021 (a.a.O.) zu folgen, der mit Blick auf die sich zum Fahrverbot nach § 25 StVG verhaltende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) das Fahrverbot nicht als Kriminalstrafe verstanden wissen will. Seine Bezugnahme auf diese zum Ordnungswidrigkeitenrecht ergangene Rechtsprechung erscheint angesichts der amtlichen Begründung zur Gesetzesnovellierung 2017 (BT-Drs 18/11272, Seite 14 ff.) für eine Qualifizierung der hiervon zu unterscheidenden Kriminalsanktion nach StGB nicht überzeugend. Vielmehr wurde gerade die Pönalisierungsfunktion (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03. Juni 2004 - Az.: 2 Ss 112/04 -, [juris Rdnr. 14] mit Verweis auf BT-Drs IV/651, Seite 12) dieser "echten" (Neben-)Strafe stärker betont (BT-Drs a.a.O. Seite 17).
Gemessen hieran werden die Urteilsgründe den an sie zu stellenden Anforderungen gerecht. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache allein des Tatgerichts, dessen Aufgabe es ist, aufgrund der Hauptverhandlung die wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Sie lässt vorliegend noch hinreichend erkennen, dass sich die Kammer der untrennbaren Wechselwirkung zwischen Haupt- und Nebenstrafe bewusst war, zumal sie "mit Blick auf die Höhe" (UA S. 5) der wegen § 331 StPO begrenzten Geldstrafe (UA a.a.O.) ein zusätzliches Fahrverbot - ebenso wie bereits die Vorinstanzen - für erforderlich erachtet hat.
Fundstellen
Haufe-Index 15278844 |
NStZ 2023, 43 |
StV 2023, 602 |