Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgerechtsentzug bei "Münchhausen-by-proxy-Syndrom"
Leitsatz (redaktionell)
Entzug der elterlichen Sorge bei Vorliegen eines „Münchhausen-by-proxy”-Syndroms oder eines diesem Syndrom entsprechenden Verhaltens
Normenkette
BGB § 1666
Verfahrensgang
AG Leipzig (Beschluss vom 30.01.2007; Aktenzeichen 332 F 975/06) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG - FamG - Leipzig vom 30.1.2007 (332 F 975/06) wird zurückgewiesen.
2. Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Das FamG hat mit dem angefochtenen Beschluss der Antragsgegnerin die elterliche Sorge für ihre am ... 1995 geborene Tochter M. entzogen. Zur Begründung hat es, gestützt auf die Gutachten der Sachverständigen Dr. T. und Dr. B., zweier Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, ausgeführt, die Erziehungsfähigkeit der Antragsgegnerin sei gegenwärtig als krankheitsbedingt erheblich eingeschränkt zu beurteilen. Die Antragsgegnerin leide nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. B. mit hoher Wahrscheinlichkeit an einer tief greifenden Persönlichkeitsstörung, welche durch über lange Zeit anhaltende Auffälligkeiten der Impulskontrolle, der Affektivität, des Denkens und Handelns gekennzeichnet sei. Ihre persönlichkeitsbedingte emotionale Instabilität und ihre Unsicherheit über das eigene Selbstbild führe zu unzureichender Wahrnehmung der Tochter als eigenständigem Individuum mit übermäßig enger Bindung und Kontrolle bei bestehender Gewissheit der Fürsorglichkeit. Der Sachverständige Dr. T. habe bei M. ein ausgeprägtes Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeitsdefizit als Folge traumatisierender Erlebnisse, eine geringe Belastbarkeit, psychomotorische Unruhe, motorische Koordinationsmängel und eine herabgesetzte Merkfähigkeit verbunden mit Schwächen in der Raumorientierung und der Integration diagnostiziert; er komme zu dem Schluss, dass die Entwicklung von M. durch das sog. Münchhausen-by-Proxy-Syndrom und die Psychopathologie der Mutter erheblich eingeschränkt sei. Hieraus sei auf eine massive Gefährdung des Wohls des Kindes zu schließen.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Sie stützt sich auf eine ärztliche Stellungnahme des sie behandelnden Arztes Dipl.-Med. K. Aus dieser ergebe sich, dass sie nicht an einem Münchhausen-by-proxy-Syndrom leide und auch im Übrigen keine Auffälligkeiten aufweise.
II. Die Beschwerde ist statthaft (§ 621e Abs. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig eingelegt. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das FamG der Antragsgegnerin die elterliche Sorge für das betroffene Kind entzogen. Denn das Wohl des Kindes M. wäre aufgrund der psychischen Erkrankung der Antragsgegnerin bei einer Rückführung in den mütterlichen Haushalt und der Wahrnehmung der Belange des Kindes durch die Mutter im Übrigen gefährdet. In der mündlichen Verhandlung ist deutlich geworden, dass die Antragsgegnerin keine Krankheitseinsicht hat. Sie ist deshalb auch nicht willens und in der Lage, die Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Es ist überdies anzunehmen, dass andere Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen; so hat die in den letzten Jahren in Anspruch genommene Familienhilfe nicht dazu geführt, M. eine kindgerechte Entwicklung zu ermöglichen. Der Senat folgt dem FamG in den aus den beiden Sachverständigengutachten gezogenen Schlussfolgerungen. Diese decken sich mit den Erkenntnissen, die der Senat aus der Anhörung des Kindes und der Beschwerdeführerin gewonnen hat.
Es spricht bereits viel dafür, dass der vom Sachverständigen Dr. T. angeführte Verdacht auf ein sog. Münchhausen-by-proxy-Syndrom begründet ist. Ein solches ist dadurch gekennzeichnet, dass der betroffene Elternteil eine Erkrankung des Kindes hervorruft oder jedenfalls aber doch vortäuscht und wiederholt Ärzte aufsucht, denen die wahren Ursachen des Krankheitsbildes nicht offenbart werden. Bei einer Trennung von dem bei alledem als besonders fürsorglich erscheinenden Elternteil bilden sich die Krankheitssymptome alsbald zurück.
So haben nicht nur das Universitätsklinikum L, Zentrum für Kindermedizin, eine so bezeichnete Mutter-Kind-Notsituation diagnostiziert (Brief vom 22.9.2005 - Bl. 9 - und ärztlich-psychologische Stellungnahme vom 30.1.2006 - Bl. 15), sondern - gestützt hierauf - auch die M. behandelnde Kinderärztin Dr. S.. (Bericht vom 30.1.2006 - Bl. 30). Ein auf ein Münchhausen-by-proxy-Syndrom weisender Verdacht lässt sich nicht durch die gutachterliche ärztliche Äußerung des Dipl.-Mediziners K. vom 26.2.2007 sowie das Schreiben des Sächsischen Krankenhauses A. vom 19.12.2006 (Bl. 263 dA) entkräften. Danach wird eine Objektivierung bzw. ein Ausschluss des bestehenden Verdachts auf ein Münchhausen-by-proxy-Syndrom testdiagnostisch nicht für möglich gehalten, da d...