Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 313 Abs. 1 Satz 2 StPO findet auch dann Anwendung, wenn die Staatsanwaltschaft zwar Freispruch beantragt hatte, aufgrund eines vorausgegangenen Strafbefehlsverfahrens jedoch bereits ein konkreter Strafantrag der Staatsanwaltschaft existiert, der die Annahme eines Bagatelldeliktes zulässt.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Entscheidung vom 01.07.2010; Aktenzeichen 12 Ns 207 Js 28644/09) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 01. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I. Das Amtsgericht hatte auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 07. Juli 2009 einen Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung erlassen und eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 50,00 EUR festgesetzt. In der auf den Einspruch des Angeklagten hin anberaumten Hauptverhandlung hatte das Amtsgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Entscheidung entsprach dem Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft.
Gleichwohl legte die Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Urteil Berufung ein. In der Berufungsbegründung vertritt die Staatsanwaltschaft die Auffassung, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung auch in subjektiver Hinsicht begründet sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Berufung der Staatsanwaltschaft als unzulässig verworfen. Die Kammer hat einen Fall der Annahmeberufung im Sinne des § 313 StPO angenommen.
Gegen den Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft den Beschluss des Landgerichts aufzuheben.
II. 1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zulässig. Zwar sind Entscheidungen des Berufungsgerichts über die Annahme einer Berufung gemäß § 322 a Satz 2 StPO grundsätzlich nicht anfechtbar. Hiervon wird jedoch in dem Fall eine Ausnahme gemacht, dass zwischen den Verfahrensbeteiligten Streit darüber besteht, ob die Voraussetzungen einer Annahmeberufung vorliegen (OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 306 m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 322 a Rdnr. 8).
2. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft erweist sich jedoch als unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht einen Fall der Annahmeberufung gemäß § 313 StPO angenommen.
Die Frage, ob auch im Falle eines Freispruchs, der auf einem Antrag der Staatsanwaltschaft beruht, von einer Annahmeberufung ausgegangen werden kann, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Der bisher überwiegende Teil der Rechtsprechung hält in einem solchen Fall § 313 Abs. 1 Satz 2 StPO für unanwendbar (OLG Koblenz, NStZ 1994, 601; OLG Celle, NStZ-RR 1996, 43; OLG Köln, NStZ 1996, 150; OLG Karlsruhe StV 1997, 69; OLG Zweibrücken MDR 1996, 732; OLG Oldenburg, Beschluss vom 08. Februar 1005, Az.: 1 Ws 5/95 - juris; KG Berlin, Beschluss vom 07. Mai 1997, Az.: 3 Ws 226/97 - juris; OLG Hamm VRS 95, 382; OLG Jena StraFo 2000, 292; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2001, 84; OLG Brandenburg OLG-NL 2005, 45). Diese Auffassung wird maßgeblich damit begründet, dass der Antrag des Vertreters der Staatsanwaltschaft auf Freispruch kein Minus gegenüber dem in § 313 Abs. 1 Satz 2 StPO genannten Antrag auf Verhängung einer Geldstrafe von höchstens 30 Tagessätzen sei. Wenn die Staatsanwaltschaft nach durchgeführter Beweisaufnahme zu dem Ergebnis komme, ein strafrechtlicher Schuldnachweis sei überhaupt nicht zu führen, könne aus ihrem Antrag auf Freispruch nicht auf ein Bagatelldelikt geschlossen werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei deshalb nicht hinnehmbar, der Anwendung des § 313 Abs. 1 Satz 2 StPO eine fiktive Tat und eine fiktive Rechtsfolge zugrundezulegen. Im Interesse der Rechtsklarheit verbiete sich deshalb eine erweiternde Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 313 Abs. 1 Satz 2 StPO.
Von dieser grundsätzlichen Auffassung weicht eine Mindermeinung jedenfalls dann ab, wenn aufgrund eines Strafbefehlsantrags bereits ein konkreter Strafantrag der Staatsanwaltschaft existiert, ohne dass hypothetische Erwägungen angestellt werden müssten (OLG Hamm NStZ 1996, 455; OLG Koblenz, NStZ-RR 2000, 306; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht SchlHA, 2000, 256; Meyer-Goßner, § 313 Rdnr. 4 a).
Dieser Aufassung schließt sich der Senat für den vorliegenden Fall an. § 313 StPO ist durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege (BGBl. I 1993, S. 50) eingefügt worden. Hintergrund war die außerordentliche Belastung der Strafjustiz nach dem Beitritt der fünf neuen Länder. Die Berufungsgerichte sollten deshalb in Fällen entlastet werden, denen kleinere Kriminalität und Straftaten geringer Schwere zugrundelagen (BT-Drs. 12/1217). Zwar wird dem Sinn und Zweck dieses Gesetzes in Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung einen Freispruch beantragt hat, n...