Leitsatz (amtlich)
Kein Fahrverbot bei länger als 1 Sekunde andauerndem Rotlichtverstoß bei winterlichen Verhältnissen, wenn der Betroffene die Fahrgeschwindigkeit reduziert hat und ihm die Tatsache, dass das ABS in diesem Fall zu einer Bremsverlängerung führt, nicht bekannt war; wohl aber Verhängung einer Regelgeldbuße.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Leipzig gegen das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 4. Mai 2000 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Betroffene zu der Geldbuße von 250,00 DM verurteilt wird. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt; jedoch wird die Beschwerdegebühr um die Hälfte ermäßigt.
Von den im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen wird der Staatskasse die Hälfte auferlegt; im Übrigen trägt sie der Betroffene.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Leipzig hat am 4. Mai 2000 den Betroffenen wegen eines "fahrlässigen Verstoßes gegen die Vorschriften über das Verhalten an Wechsellichtzeichenanlagen" zu einer Geldbuße von 100,00 DM verurteilt.
Gegen das ihr am 8. Mai 2000 bekannt gegebene Urteil hat die Staatsanwaltschaft Leipzig, die an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, mit Schriftsatz vom 10. Mai 2000 Rechtsbeschwerde eingelegt, die am 11. Mai 2000 beim Amtsgericht Leipzig eingegangen ist.
Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 13. Juni 2000 hat die Staatsanwaltschaft Leipzig die Rechtsbeschwerde mit Schriftsatz vom 6. Juli 2000 - eingegangen beim Amtsgericht Leipzig am 11. Juli 2000 - mit der Verletzung sachlichen Rechts bei der Bemessung der Rechtsfolgen begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Leipzig im Rechtsfolgenausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Leipzig zurückzuverweisen.
Der Betroffene hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt; sie ist der Sache nach auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und hat teilweise Erfolg.
Das Amtsgericht Leipzig hat zum Schuldspruch folgenden
Sachverhalt festgestellt:
"Am 17.02.1999 befuhr der Betroffene mit dem Pkw
Mercedes Benz, amtliches Kennzeichen: , gegen 07.52 Uhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 42 km/h die Pfaffendorfer Straße in Leipzig. Zu diesem Zeitpunkt war es dunkel, auf der Straße lag infolge vorangegangenen Neuschnees Schneematsch. Als die Wechsellichtzeichenanlage an der Einmündung der Pfaffendorfer Straße zur Parthenstraße auf Gelb schaltete, bremste der Betroffene, wobei sein Fahrzeug ins Rutschen geriet. Daraufhin bremste der Betroffene stärker, weshalb das Antiblockiersystem (ABS) des Pkw aktiviert wurde. Die Aktivierung des ABS wirkte sich bremswegverlängernd aus, da die Bildung eines Schneekeiles vor den Vorderrädern zu einem früheren Erreichen der Blockiergrenze geführt hatte und damit der Druckaufbau der Bremsanlage durch das ABS verringert wurde. Der Betroffene konnte deshalb vor der inzwischen roten Wechsellichtzeichenanlage nicht mehr anhalten, sondern überfuhr die Haltelinie mit einer Geschwindigkeit von 31 km/h bei einer Rotlichtzeit von 1,26 Sekunden.
Auch bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 27 km/h bei Eintritt der Gelbphase wäre es dem Betroffenen nicht möglich gewesen, rechtzeitig an der Haltelinie der Wechsellichtzeichenanlage anzuhalten. Bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 25 km/h bei Eintritt der Gelbphase und sofortigem Bremsen wäre es dem Betroffenen allerdings möglich gewesen, rechtzeitig vor der Haltelinie anzuhalten. Dies hätte der Betroffene bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt erkennen können und müssen."
Ferner hat das Amtsgericht festgestellt (und im Rahmen der Rechtsfolgenbemessung ausgeführt), dass der Betroffene nicht wusste, "dass sich das ABS im Fahrzeug des Betroffenen bremsverlängernd auswirken kann". Da die Feststellungen zur Tat eine ausreichende Grundlage für die Prüfung der Rechsfolgenentscheidung bieten, ist die (inzidente) Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam.
III.
Die Sachrüge greift in dem aus der Beschlussformel
ersichtlichen Umfang durch.
Zwar ist das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass
"der auf der Bußgeldkatalog-Verordnung beruhende
bundeseinheitliche Bußgeldkatalog ... in seiner Nr. 34.2
bei einer schon länger als einer Sekunde andauernden
Rotphase eines Wechsellichtzeichens eine Regelgeldbuße von
250,00 DM und ein Fahrverbot in Höhe von einem Monat
vor(sieht)". Auch hat es zutreffend gesehen, dass den
Regelsätzen nach der verbindlichen Vorbewertung des
Verordnungsgebers gewöhnliche Tatumstände bei fahrlässiger
und erstmaliger Begehung zu Grunde liegen.
Aber seine Begründung für die - abweichend von § 1 Abs. 2
Satz 1 BKatV - deutlich herabgesetzte Wertung des
Verschuldensgrades des Betroffenen ist nicht frei von
Rechtsfehlern. Die vom Amtsgericht festgestellte...