Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Umfang der Auslagenerstattung
Leitsatz (amtlich)
1. Aus Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK in Verbindung mit Art. 6 Abs. 3 lit. e) EMRK (Anspruch eines sprachunkundigen Beschuldigten auf Dolmetscherunterstützung und Beistand eines Pflichtverteidigers) folgt zur Ermöglichung der ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Verteidigeraufgaben auch der Anspruch des Beschuldigten auf rechtzeitige und umfassende Information dieses Verteidigers. Hierzu gehört auch die Übersetzung früherer ausländischer Urteile und maßgeblicher Urkunden, soweit sie für das Verfahren eine Rolle spielen. Die Übersetzung darf der Beschuldigte (bzw. sein Verteidiger), sofern dies nicht als unsachgemäß erscheint, selbst veranlassen; die hierfür anfallenden Übersetzungskosten sind von der Staatskasse auszulegen bzw. zu erstatten. Ein Anspruch auf Übersetzung der gesamten Verfahrensakte besteht hingegen nicht.
2. Für die Erstattungsfähigkeit von Übersetzungskosten bei einer sich im Nachhinein als doppelt herausstellenden Übersetzung (durch Staatsanwaltschaft und Beschuldigten) ist maßgeblich auf die ex-ante-Sicht zur Verfahrenslage im Zeitpunkt der Auftragserteilung abzustellen.
Verfahrensgang
LG Görlitz (Entscheidung vom 06.01.2011; Aktenzeichen 2 KLs 540 Js 4774/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Görlitz vom 06. Januar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird an sie zur ergänzenden Durchführung des Kostenfestsetzungsverfahrens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Landgericht Görlitz zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Beschwerdeführer ist polnischer Staatsbürger und der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig. Gegen ihn hatte die Staatsanwaltschaft Anklage mit dem Vorwurf u.a. des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erhoben. Bereits im Verlauf des Ermittlungsverfahrens war dem Beschwerdeführer mit Beschluss des Ermittlungsrichters sein Verteidiger Rechtsanwalt M zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Mit weiterem Beschluss hatte der Ermittlungsrichter dem Verteidiger die Hinzuziehung einer Dolmetscherin als Sprachmittlerin gestattet.
Im Verlauf des Ermittlungsverfahrens gab der Pflichtverteidiger bei der Dolmetscherin die schriftliche Übersetzung des deutschsprachigen Vernehmungsprotokolls eines Zeugen vom 17. April 2010 nebst zugehörigem Aktenvermerk des Zollfahndungsamts Dresden vom selben Tag, eines Haftfortdauerbeschlusses des Landgerichts Görlitz vom 21. Mai 2010, eines weiteren deutschsprachigen Zeugenvernehmungsprotokolls des Zollfahndungsamts München vom 02. August 2010 sowie eines den Beschwerdeführer betreffenden polnischsprachigen Urteils des Bezirksgerichts Wroclaw vom 01. Oktober 2004 in Auftrag. Die Übersetzerleistung stellte die Dolmetscherin mit (brutto) 1.057,61 Euro in Rechnung.
Mit Beschluss vom 06. Januar 2011 wies die zuständige Rechtspflegerin den Antrag des Pflichtverteidigers, ihm die angefallenen Übersetzerkosten aus der Staatskasse zu erstatten, zurück. Der Beschuldigte habe keinen Anspruch auf die Übersetzung gehabt, zumal sowohl die Vernehmungen als auch die Durchführung des Haftbeschwerdeverfahrens in Anwesenheit des Betroffenen selbst sowie eines Dolmetschers erfolgt seien. Er sei daher in der Lage gewesen sei, sich jeweils über den aktuellen Prozessstand zu informieren. Im Übrigen komme die Staatkasse nicht dafür auf, dass der Beschuldigte ein in Polen ergangenes Urteil zunächst verschweige und dieses sodann vom Verteidiger übersetzt werde, obwohl auch das in vorliegender Sache erkennende Gericht das polnische Urteil beigezogen und übersetzt habe. Die geltend gemachten Übersetzungskosten seien daher nicht notwendig gewesen und durch Art. 6 MRK nicht gedeckt.
Der gegen ihre Entscheidung erhobenen Beschwerde hat die Rechtspflegerin nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II. Das Rechtsmittel ist begründet.
Die Ablehnungbegründung hält sowohl in sachlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einer beschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. a) Soweit die Rechtspflegerin darauf abstellen möchte, dass sowohl die Vernehmungen der Zeugen vom 17. April 2010 als auch vom 02. August 2010 in Gegenwart des Beschwerdeführers erfolgt sei, weshalb er über den Stand des Verfahrens informiert gewesen sei, wird dies durch den Akteninhalt nicht bestätigt. Der Beschwerdeführer wurde am 17. April 2010 vorläufig festgenommen; die zu seiner Festnahme führende polizeiliche Vernehmung des Zeugen (Quellenvernehmung) erfolgte in seiner Abwesenheit. Gleiches gilt für die in Nürnberg durchgeführte Zeugenvernehmung des Zollfahndungsamts München vom 02. August 2010.
b) Unrichtig ist auch die Annahme, die Haftfortdauerentscheidung der Strafkammer vom 21. Mai 2010 sei in seiner Anwesenheit erfolgt. Die Entscheidung erging vielmehr - nach Nichtabhilfe durch den Ermittlungsrichters - im schriftlichen Beschwerdeverfahren ohne erneute Anhörung des Beschuldigten.
c) Soweit schließlich die Erstattun...