Leitsatz (amtlich)

1. Die Behauptung, ein "Thermofenster" in einem Dieselfahrzeug weise eine Prüfstandserkennungsfunktion auf, ist dann als "ins Blaue hinein" anzusehen, wenn sie lediglich mit Gutachten und Untersuchungsberichten untersetzt wird, deren Feststellungen sich nicht auf den im Prozess streitgegenständlichen Motortyp beziehen. Gleiches gilt für verpflichtende Rückrufe durch das KBA.

2. Wenn das Zulassungsverfahren auf den Prüfstandsbetrieb ausgerichtet war, kann mit im Straßenverkehr erfolgten Messungen kein greifbarerer Anhaltspunkt für eine unzulässige Abschalteinrichtung aufgezeigt werden.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Aktenzeichen 5 O 271/22)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert der Berufung auf 4.834,36 EUR festzusetzen.

 

Gründe

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Das Landgericht hat die Klage des Klägers auf Schadensersatz wegen des am 28.12.2015 gekauften Fahrzeugs Audi A6 3.0 V6 TDI mit einem im Fahrzeug verbauten VTGI-Motor des Typs EA896Gen2 3.0-Liter-Monoturbo, 180 kW, zugelassen nach EU5-Norm gegen die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens des Klägers zu Recht abgewiesen.

1. Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte den Kläger im Zusammenhang mit den nach Behauptung des Klägers im Fahrzeug verbauten und angeblich unzulässigen Abschalteinrichtungen vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat.

a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. zu Vorstehendem nur: BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021, Az.: VII ZR 295/20 - juris; BGH, Beschluss vom 29. September 2021, Az.: VII ZR 126/21 - juris).

Damit der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung eine Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB auslösen kann, müssen nach der (mittlerweile) gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung noch weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021, Az.: VII ZR 190/20 - juris; BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022, Az.: VII ZR 252/20 - juris; BGH, Beschluss vom 20. April 2022, Az.: VII ZR 720/21 - juris). Wie der BGH bereits in seiner Entscheidung vom 25. Mai 2020 (Az.: VI ZR 252/19 - juris) dargestellt hat, kann das Verhalten eines Fahrzeugherstellers insoweit eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begründen, wenn dieser aufgrund einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch in großer Stückzahl Fahrzeuge in den Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, mithin diese manipulativ ausgestaltet waren. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt danach jedenfalls voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist b...

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