Leitsatz (amtlich)
Nimmt der Betroffene einen Antrag, ihn von der Pflicht des persönlichen Erscheinens in der Hauptverhandlung zu entbinden, vor der Hauptverhandlung zurück, darf eine Hauptverhandlung nach § 74 Abs. 1 OWiG nicht durchgeführt werden.
Verfahrensgang
AG Zittau (Entscheidung vom 22.05.2018; Aktenzeichen 4 OWi 260 Js 17592/17) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 22. Mai 2018 wird zugelassen.
2. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 22. Mai 2018 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Zittau zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte die Betroffene am 05. Dezember 2017 wegen fahrlässiger Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 250,00 €.
Auf den hiergegen gerichteten Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat der Senat am 14. März 2018 diese zugelassen, soweit sie gegen den Rechtsfolgenausspruch gerichtet war und im übrigen den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen. Darüber hinaus wurde auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 05. Dezember 2017 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und im Umfang der Aufhebung die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Zittau zurückverwiesen.
Am 22. Mai 2018 hat das Amtsgericht Zittau die Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften für alle Kraftfahrzeuge zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 250,00 € verurteilt. Hiergegen richtet sich der erneute und form- und fristgerecht eingegangene Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts, den sie unter anderem mit der Verletzung rechtlichen Gehörs begründet.
II.
Das Rechtsmittel hat vorläufig Erfolg.
1.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist wegen Versagung rechtlichen Gehörs zulässig.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrer Stellungnahme vom 08. August 2018 insoweit wie folgt ausgeführt:
"Die Rechtsbeschwerde ist jedoch wegen abermaliger Verletzung des rechtlichen Gehörs zuzulassen. Die Verfahrensrüge, das rechtliche Gehör sei versagt worden, ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
a)
Das Recht der Betroffenen auf rechtliches Gehör ist bereits dadurch verletzt, dass die Hauptverhandlung gemäß § 230 Abs. 1 i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG ohne sie durchgeführt wurde und eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Hauptverhandlung nur in Anwesenheit des Betroffenen durchgeführt werden darf, nicht vorliegt.
Grundsätzlich ist der Betroffene in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet (§ 73 Abs. 1 OWiG), womit sein Recht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung als Ausprägung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör korrespondiert (§ 230 StPO, 46 Abs. 1 OWiG). Die Hauptverhandlung im Ordnungswidrigkeitenverfahren darf - insoweit enthält das OWiG eine von den Bestimmungen der StPO abweichende Regelung - in Abwesenheit des Betroffenen nur dann durchgeführt werden, wenn er nicht erschienen ist und darüber hinaus von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war (§ 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen wiederum ist in § 73 Abs. 2 OWiG geregelt und setzt voraus, dass der Betroffene sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich nicht äußern werde, weiterhin seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte nicht erforderlich ist und er einen Antrag, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu befreien, gestellt hat. Der Antrag kann nur vom Betroffenen selbst gestellt werden, weil das Anwesenheitsrecht eines Betroffenen nicht der Disposition des Richters im Interesse einer raschen Verfahrenserledigung unterliegt, sondern über ihn als Ausdruck verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör nur vom Betroffenen als Inhaber dieses subjektiven Rechts selbst verfügt werden kann. Eine abweichende Regelung ist nur für den Fall des unentschuldigten Ausbleibens eines Betroffenen in § 74 Abs. 2 OWiG vorgesehen, wonach der Einspruch ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen ist. Letztere Vorgehensweise hat das Amtsgericht auch in der auf den 27. April 2018 datierten Ladung der Betroffenen für den Fall ihres unentschuldigten Fernbleibens angekündigt.
Ersichtlich ist das Amtsgericht jedoch letztlich nicht von einem Fall des § 74 Abs. 2 OWiG ausgegangen, sondern hat augenscheinlich das Verfahren gemäß § 74 Abs. 1 OWiG gewählt und zur Sache verhandelt.
Die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 S. 1 OWiG lagen indes nicht vor, weil eine Entbindung der Betroffenen vom der Verpflichtung zum persönlic...