Leitsatz (amtlich)
1. Wird durch das erstinstanzliche Gericht die Akteneinsicht durch Versendung an den Prozessbevollmächtigten einer Partei abgelehnt, ist dagegen die sofortige Beschwerde eröffnet.
2. Von Dritten beigezogene Akten sind nicht Teil der Prozessakte; der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es jedoch, der Partei Kopien einer elektronisch geführten Datei zu überlassen. Die kostenpflichtige Übersendung von Originalakten kommt nach pflichtgemäßem Ermessen des Vorsitzenden in Betracht, wenn die Akten entbehrlich sind und der Empfänger vertrauenswürdig ist.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 4 O 492/21) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichtes Chemnitz vom 28.09.2021 - 4 O 492/21 - wie folgt abgeändert:
Dem Kläger sind Kopien der beigezogenen Behandlungsunterlagen gegen Kostenerstattung zu übersenden.
2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend. Das Landgericht hat Behandlungsunterlagen von Mit- und Nachbehandlern beigezogen. Der Kläger hat mit Schriftsätzen vom 25.08.2021 und 26.09.2021 Akteneinsicht durch seinen Prozessbevollmächtigten einschließlich bisher vorliegender Patientenakten beantragt. Mit Beschluss vom 28.09.2021 hat das Landgericht Akteneinsicht durch Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle gewährt und die Versendung von Behandlungsunterlagen abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 22.10.2021 sofortige Beschwerde erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass eine - alleinige - Verweisung auf Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle nicht der Rechtslage entsprechen würde. Die Patientenakte sei auch deshalb im Original zu übersenden, da auf Kopien farbig geführte Krankenunterlagen nicht mehr erkennbar seien. Dem ist das Landgericht nicht nachgekommen.
II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 567 ff. ZPO statthaft und zulässig. Der Partei steht die sofortige Beschwerde zu, wenn Akteneinsicht verweigert oder dem Antrag nicht in vollem Umfang entsprochen wird (vgl. Greger in Zöller, 33. Aufl., § 299 Rdnr. 5; OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.06.2002 - 10 WF 71/02 - juris).
Die Beschwerde ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Übersendung von Kopien der zu den Akten gelangten Behandlungsunterlagen gegen Kostenerstattung.
Der Anspruch auf Akteneinsicht ergibt sich nicht unmittelbar aus § 299 ZPO, denn die von Dritten nach § 142 Abs. 1 ZPO beigezogenen Originalurkunden sind nicht Teil der Prozessakte (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Juni 2021 - 4 W 386/21 -, m.w.N.; juris). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet es aber, den Parteien Einsichtnahme in Unterlagen zu gewähren, auf deren Grundlage die Entscheidung des Gerichtes gestützt wird. Daher ist eine entsprechende Anwendung von § 299 ZPO geboten (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Juni 2021, a.a.O und Beschluss vom 28. Juni 2021 - 4 W 685/20 -, Rn. 5, juris m.w.N.). Zu einer ordentlichen, verantwortlichen Prozessführung einer Partei gehört die Möglichkeit, in jedem Stadium des Verfahrens Einsicht in für das Verfahren wesentliche Unterlagen nehmen zu können, was nur dadurch gewährleistet werden kann, wenn die Partei bzw. ihr Prozessbevollmächtigter Abschriften von diesen Unterlagen bei ihren Akten haben. Die bloße Möglichkeit auf der Geschäftsstelle Einsicht in die Originalunterlagen zu nehmen, reicht hierfür nicht aus. Ein Anwalt muss, wenn er Schriftsätze anfertigt, in denen er sich mit diesen Unterlagen auseinanderzusetzen hat, diese Abschriften vorliegen haben (so OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.09.2012 - 13 W 90/12). Allein die Gefahr, dass bei Ablichtungen durch die Geschäftsstelle ein Verlust- oder Vertauschrisiko besteht, rechtfertigt es nicht, der Partei keine Ablichtungen zu übersenden (anderer Ansicht: OLG Hamm, Beschluss vom 30.08.2006 - 3 W 38/06 - juris). Das Gericht hat dafür Sorge zu tragen, dass zuverlässige Mitarbeiter den Kopiervorgang in sorgfältiger Weise durchführen (so OLG Karlsruhe, a.a.O.). Die gleichwohl bestehende Gefahr, dass Unterlagen nicht oder falsch eingeheftet werden, muss im Hinblick auf den Anspruch auf rechtliches Gehör der Partei in Kauf genommen werden.
Vor diesem Hintergrund sind Kopien der zu den Akten gelangten Patientenakten, die durch die Beklagte ohnehin nur als Ausdruck der elektronisch geführte Patientendokumentation bzw. als Archivdokumente zur Akte gereicht wurden, zu fertigen und an den Kläger im Rahmen der beantragten Akteneinsicht zu übersenden. Die von den Mit-/Nachbehandlern Gemeinschaftspraxis Dr. W.../S... geführten Patientenakten sind ebenfalls nur als Kopien zur Akte gelangt.
Hinsichtlich der von der ... Pflege GmbH geführten Original-Patientenakten besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Übersendung zur Einsichtnahme in eine Rechtsanwaltskanzlei (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.1960 - III ZR 191/59, Rdnr. 9 - juris; vgl. Senat, Beschluss vom 28. Juni 2021, a.a.O., Rn. 5, juris; vgl. OLG Brandenburg, Beschlu...