Leitsatz (amtlich)
1. Auch Vergaben nachrangiger Dienstleistungen nach Anhang I B zur VOL/A (2. Abschnitt) sind der Kontrolle durch die Nachprüfungsorgane unterworfen.
2. Die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags hängt regelmäßig nicht davon ab, wieviel Zeit zwischen der Rüge und seiner Einreichung verstrichen ist.
3. Die übereinstimmende Aufhebung einer vom Auftraggeber zuvor erklärten Kündigung eines Dienstleistungsauftrages mit der Folge einer von den Parteien gewollten Vertragsverlängerung stellt eine Neuvergabe dar.
4. Wird als Folge einer Aufhebung eines Vergabeverfahrens durch die Vergabekammer eine auf eine mehrjährige Leistungserbringung angelegte Vergabe neu ausgeschrieben, so sind Verhandlungen über eine Zwischenlösung bis zum Abschluss dieses Vertrages und seiner Umsetzung mit den Unternehmen zu führen, die sich an der aufgehobenen Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt haben, das keine oder jedenfalls keine unter Gleichheitsgesichtspunkten beachtlichen Mängel aufgewiesen hat. Ein im Ergebnis von Verhandlungen mit nur einem der Bieter geschlossener Vertrag über eine Zwischenlösung ist in entsprechender Anwendung von § 13 S. 6 VgV nichtig.
Verfahrensgang
Regierungspräsidium Leipzig (Beschluss vom 24.08.2007; Aktenzeichen 1/SVK/054-07) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen beim Regierungspräsidium Leipzig vom 24.8.2007 (1/SVK/054-07) wird zurückgewiesen.
2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin tragen der Antragsgegner und die Beigeladene je zur Hälfte. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen der Antragsgegner und die Beigeladene selbst.
3. Beschwerdewert: bis zu 50.000 EUR.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine vergaberechtswidrige, der Nachprüfung gem. §§ 102 ff. GWB unterworfene De-Facto-Vergabe von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge vorliegt, wenn der Auftraggeber nach Aufhebung eines förmlichen Vergabeverfahrens, zu der ihn die Vergabenachprüfungsorgane verpflichtet haben, für einen nicht unerheblichen Übergangszeitraum eine Fortsetzungsvereinbarung mit dem bisherigen Leistungserbringer - zwecks Vorbereitung, Durchführung und Abschluss einer neuen öffentlichen Ausschreibung - trifft, ohne die im aufgehobenen Vergabeverfahren aufgetretenen Bieter beteiligt oder informiert zu haben.
Im Ergebnis einer früheren öffentlichen Ausschreibung des F, an der sich auch die jetzige Antragstellerin, eine gemeinnützige GmbH, beteiligt hatte, betreibt die Beigeladene in seinem Auftrag seit dem Jahre 2001 eine Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in. Den ursprünglichen Betreibervertrag, der zunächst bis zum 31.7.2005 geschlossen war und sich ohne Kündigung mit sechsmonatiger Kündigungsfrist jeweils um ein Jahr, längstens bis zum 31.7.2009 verlängerte, kündigte der Auftraggeber im Januar 2007 zum 31.7.2007. Bereits im Juli 2006 hatte er die beabsichtigte Neuvergabe der Leistungen zum 1.8.2007 für einen Zeitraum von vier Jahren (mit zusätzlicher Verlängerungsoption) im Ausschreibungsblatt veröffentlicht. Insgesamt sechs Bieter, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene, gaben Angebote ab. Im Februar 2007 teilte der Auftraggeber den Bietern seine Absicht mit, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Ein daraufhin von der Antragstellerin angestrengtes erstes Nachprüfungsverfahren hatte Erfolg. Die Vergabekammer verpflichtete den Auftraggeber mit unangefochten gebliebenem Beschluss vom 10.4.2007 (1 SVK 20/07), das Vergabeverfahren aufzuheben. Hintergrund war die in der seinerzeitigen Vergabebekanntmachung enthaltene, von keinem der Bieter erfüllte und nach Einschätzung der Vergabekammer schlechthin unerfüllbare Forderung, als Eignungsnachweis u.a. eine "Gewerbegenehmigung" vorzulegen.
Nach ersten, in einem Vermerk vom 19.4.2007 festgehaltenen Vorüberlegungen zum weiteren Prozedere teilte der Auftraggeber den Bietern mit Schreiben vom 30.4.2007 mit, dass er das Vergabeverfahren aufgehoben habe und beabsichtige, eine erneute öffentliche Ausschreibung nach öffentlicher Vergabebekanntmachung durchzuführen. Im Anschluss an eine bereits im Mai 2007 erzielte mündliche Verständigung schloss er mit der Beigeladenen ohne vorherige Information an die anderen Bieter, die sich im aufgehobenen Vergabeverfahren beteiligt hatten, am 11.6.2007 eine schriftliche "Fortsetzungsvereinbarung". Darin vereinbarten die Parteien eine Fortsetzung des Betreibervertrages bis zum 31.7.2008 (mit der Auftraggeberoption zweifacher Verlängerung um je sechs Monate bei Vorliegen eines wichtigen Grundes) und stimmten darin überein, "dass die zum 31.7.2007 ausgesprochene Kündigung damit zurückgenommen ist". Ausgenommen wurden die ursprünglich Vertragsbestandteil gewesenen Bewachungsleistungen, die zum 1.8.2007 anderweitig vergeben wurden; im Gegenzug verringerte sich das monatliche Entgelt um pauschal 5.000 EUR brutto. Den Auftragswert für den um ein Jahr verlängerten Zei...