Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem anwaltlich vertretenen Schuldner beginnt die Rechtsmittelfrist noch nicht zu laufen, wenn ein Ordnungsmittelbeschluss dem Schuldner persönlich zugestellt wird.
2. Die Heilung eines Zustellungsmangels tritt nicht durch Kenntnisnahme von einem Beschluss im Rahmen der Akteneinsicht ein.
3. Voraussetzung für einen Ordnungsmittelbeschluss ist allein der Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung, es kommt hingegen nicht darauf an, dass das verbotswidrige Verhalten im Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses noch andauert.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 05 O 916/20) |
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16.10.2020 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit einstweiliger Verfügung des Landgerichts vom 28.04.2020 ist dem Antragsgegner u. a. aufgegeben worden, es zu unterlassen, das dort näher bezeichnete Interview zu vervielfältigen, zu bearbeiten, zu ändern oder öffentlich, insbesondere über soziale Netzwerke zugänglich zu machen. Die einstweilige Verfügung ist dem Antragsgegner am 06.05.2020 zugestellt worden. Auf den am 19.05.2020 eingegangenen Ordnungsmittelantrag der Antragstellerin hat das Landgericht am 06.07.2020 gegen den Antragsgegner ein Ordnungsgeld in Höhe von 1000,00 EUR, ersatzweise für je 500,00 EUR einen Tag Ordnungshaft festgesetzt. Auf Antrag der Gläubigerin vom 31.03.2020 hat das Landgericht mit Beschluss vom 16.10.2020 gegen den Schuldner ein weiteres Ordnungsgeld in Höhe von 2000,00 EUR ersatzweise für je 500,00 EUR einen Tag Ordnungshaft verhängt. Der Beschluss ist dem anwaltlich vertretenen Schuldner persönlich am 24.10.2020 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 08.02.2021 hat sich für den Antragsgegner ein neuer Prozessbevollmächtigter angezeigt und zunächst um Akteneinsicht gebeten. Der Beschluss vom 16.10.2020 ist dem Prozessbevollmächtigten am 05.03.2021 zugestellt worden. Mit am 15.03.2021 eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsgegner gegen den Beschluss vom 16.10.2020 sofortige Beschwerde eingelegt. Er behauptet, bereits am 01.03.2021 längst nicht mehr gegen die einstweilige Verfügung verstoßen zu haben und vertritt die Auffassung, der Ordnungsmittelbeschluss hätte deswegen vor der erneuten Zustellung auf seine "inhaltliche Berechtigung" überprüft werden müssen, was jedoch fehlerhaft nicht geschehen sei.
Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II. Die sofortige Beschwerde vom 15.03.2021 gegen den angefochtenen Ordnungsmittelbeschluss ist nach § 793 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
1. Insbesondere war die Beschwerdefrist der §§ 793, 569 Abs. 1 ZPO im Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde beim Landgericht am 15.03.2021 nicht verstrichen. Eine wirksame Zustellung des Beschlusses vom 16.10.2020 ist erst am 05.03.2021 erfolgt. Vorliegend war der Antragsgegner im Verfügungsverfahren anwaltlich vertreten, so dass für die Zustellung § 172 Abs. 1 ZPO gilt mit der Folge, dass nicht an den Antragsgegner persönlich, sondern an den Prozessbevollmächtigten zuzustellen war. Das Vollstreckungsverfahren gehört nach § 172 Abs. 1 Satz 3 ZPO zum ersten Rechtszug (Zöller-Schultzky, 33. Aufl., ZPO, § 172 Rn. 17). Für ein Erlöschen der Vollmacht nach Abschluss des Verfügungsverfahrens ist nichts ersichtlich. Unabhängig davon wären auch dann Zustellungen weiter an den früheren Bevollmächtigten zu richten gewesen (§ 87 ZPO, Zöller-Schultzky, a.a.O., Rn. 9). Der Fortbestand der Vollmacht gilt zwar nicht für selbständige Nebenverfahren, in denen die Partei selbst handeln kann (Zöller/Althammer, a.a.O., Rn. 3). Bei der Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO kann die Partei jedoch nicht selbst handeln. Im Vollstreckungsverfahren vor dem Prozessgericht vielmehr der Anwaltszwang (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. Januar 2020 - 6 W 105/19 -, Rn. 5, juris Zöller-Seibel, a.a.O., § 887 Rn. 4; § 890 Rn. 13). Die an den Schuldner ausweislich der bei den Vollstreckungsakten befindlichen Postzustellungsurkunde bereits am 24.10.2020 erfolgte Zustellung des Ordnungsmittelbeschlusses konnte angesichts dessen die Beschwerdefrist nicht in Lauf setzen, ein Verstoß gegen § 172 Abs. 1 ZPO macht die Zustellung unwirksam (BGH NJW 2020, 1728; HK-ZPO/Siebert, 7. Aufl., § 172 Rn. 9; Zöller-Schultzky, a.a.O., § 172 Rn. 22).
2. Eine Heilung dieses Zustellungsmangels vor Zustellung an den neuen Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners am 05.03.2021 ist nicht erfolgt. Nach § 189 ZPO gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Eine Heilung durch den tatsächlichen Zugang des Schriftstücks im Sinne des § 189 ZPO setzt voraus, dass das Schriftstück so in den Machtbereich des Adressaten ge...