Entscheidungsstichwort (Thema)
Reservehaftbefehl. Vorratshaltung. Haftprüfung. Vorlagefrist
Leitsatz (amtlich)
Die Zurückhaltung von "haftbefehlsreifen" Tatvorwürfen durch die Staatsanwaltschaft zur Erlangung eines gesonderten Haftbefehls ist jedenfalls dann unzulässig, wenn die Taten ohne weiteres bereits Gegenstand eines parallel als Haftsache geführten Strafverfahrens hätten sein und abgehandelt werden können.
Normenkette
StPO § 121
Verfahrensgang
AG Dresden (Entscheidung vom 17.02.2009; Aktenzeichen 202 Ls 303 Js 39956/08) |
Tenor
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dresden vom 17. Februar 2009 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Der Angeklagte befand sich seit seiner Verhaftung am 27. August 2008 zunächst aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden vom 18. August 2008, der in einem von der Staatsanwaltschaft Dresden gesondert geführten Verfahren (Az.: 431 Js 37589/08) erlassen worden war, in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl wurde aufgehoben, nachdem der Angeklagte in jener Sache am 05. März 2009 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden war.
In vorliegender Sache erging daneben ein weiterer Haftbefehl des Amtgerichts Dresden am 17. Februar 2009, der nach anfänglicher Überhaftnotierung seit dem 05. März 2009 vollzogen wird.
Das Amtsgericht Dresden hat die Akten zur Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO vorgelegt; die Sechs-Monats-Frist sei abgelaufen, weil die hier verfahrensgegenständlichen Taten bereits in den früheren Haftbefehl des Verfahrens 431 Js 37589/08 hätten aufgenommen werden können; es hält, ebenso wie die Staatsanwaltschaft Dresden, die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.
Der Angeklagte und sein Verteidiger hatten Gelegenheit zur Stellungnahme; sie haben sich nicht geäußert.
II.
Der Senat hat gemäß §§ 121, 122 StPO über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden, obwohl die Untersuchungshaft formal erst seit dem 05. März 2009 vollzogen wird. Maßgeblich ist dabei, dass bei allen hier verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfen mit den Taten des anderweitigen Verfahrens 431 Js 37589/08 Tatidentität im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO vorliegt, weshalb sie in den früheren Haftbefehl hätten aufgenommen werden können und die Sechs-Monats-Frist erreicht ist.
Unter den Begriff "derselben Tat" im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO fallen jedenfalls alle Straftaten von dem Zeitpunkt an, in dem sie unter dem Blickwinkel des dringenden Tatverdachts "bekannt" sind und daher in einen bestehenden Haftbefehl tatsächlich hätten aufgenommen werden können ("Haftbefehlsreife"; - vgl. zum übrigen Meinungs- und Auslegungsstreit die Nachweise bei Paeffgen in SK, § 121 Rdnrn. 8 ff.); dabei kommt es nicht darauf an, ob sie Gegenstand desselben oder getrennter Verfahren sind (OLG Düsseldorf, StV 2004, 496 ff m.w.N.). Entscheidend ist auch nicht der (möglicherweise prozesstaktisch bestimmte) Zeitpunkt, in welchem die Staatsanwaltschaft den dringenden Tatverdacht tatsächlich angenommen hat, sondern in welchem sie ihn hätte annehmen können (vgl. OLG des Landes SachsenAnhalt, Beschluss vom 02. Dezember 2008 - 1 Ws 674/08 -m.w.N.).
III.
Der Haftbefehl in vorliegender Sache ist aufzuheben, weil er am 17. Februar 2009 wegen Tatidentität im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO nicht mehr hätte ergehen dürfen.
1. § 121 Abs. 1 StPO verlangt von den Strafverfolgungsbehörden und den Strafgerichten, dass sie alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 121 Rdnr. 1 m.w.N.). Hierzu gehört es allerdings auch, dass, sofern die Strafverfolgungsbehörde die Anordnung von Untersuchungshaft für erforderlich erachtet, "haftbefehlsreif" bekannte Tatvorwürfe nicht vorgehalten, sondern schnellstmöglich einer gerichtlichen Entscheidung durch Aufnahme in bestehende Haftbefehle zugänglich gemacht werden. Eine "Reservehaltung" von Tatvorwürfen, die den Erlass eines weiteren oder die Erweiterung des bestehenden Haftbefehls rechtfertigen, ist nicht zulässig (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. Rdnr. 12 m.w.N.).
2. Eine solch unzulässige Vorratshaltung liegt dem hier zu beurteilenden Haftbefehl zugrunde. Der Angeklagte ist der angelasteten Taten, die rechtlich als Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 185, 52 StGB, Beleidigung in Tateinheit mit versuchter Nötigung gemäß §§ 185, 240 Abs. 1, 22, 23, 52 StGB und als vorsätzliche Körperverletzung in zwei Fällen gemäß §§ 223 Abs. 1, 53 StGB zu werten sind, dringend verdächtig. Zwar macht er selbst zu den Tatvorwürfen keine Angaben, er wird jedoch durch die eindeutigen Aussagen der jeweils Geschädigten belastet, an deren Glaubhaftigkeit derzeit keine Zweifel bestehen. Auch besteht grundsätzlich Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, nachdem der Angeklagte bereits i...